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Archiv-Artikel

„Ich bin zu lebendig für Deutschland“

Im Westafrikanischen gibt es eine schöne Definition von Jazz. „Dzadzo“ heißt „to get in extasy“...wenn ich die Marmeladen-Gespräche höre von den meisten deutschen Frauen...

INTERVIEW HOLGER PAULER UND NATALIE WIESMANN

taz: Frau Storb, bis zu Ihrer Emeritierung waren Sie die einzige Professorin für Jazzforschung in Europa. Gibt es jetzt, 12 Jahre später, eine Frau, die in Ihre Fußstapfen getreten ist?

Ilse Storb: Nein, ich bin immer noch die einzige – in Europa zumindest. Ich spreche nicht von den USA, da ist der Jazz schon viel weiter fortgeschritten.

Sie beschreiben den Jazz als vital, partnerschaftlich und kreativ...

...und freiheitlich. Ich will das mal erklären, das ist meine eigene Definition von Jazz: Vitalität, weil aus Afrika kommend, da kann ich stundenlang drüber sprechen, Afrika, das ist meine große Liebe. Kreativ ist der Jazz wegen der Improvisation, partnerschaftlich, weil man miteinander spielt und kein Generaldirektor vorne steht, der sagt: „Alles hört auf mein Kommando.“ Freiheitlich wegen der Freiheit des Ausdrucks, alle Diktatoren haben Jazz und Improvisation verboten.

Das sind ja alles keine männlichen Attribute. Warum ist der Jazz trotzdem so männlich dominiert?

Das ist ein vorwiegend deutsches Problem. Neulich sagte mir ein russischer Neurologe: „Die deutschen Frauen sind Glucken.“ Er hat recht. Ich geh ja morgens oft schwimmen und seh was los ist: Da sind Mama und Großmama mit dem einzigen Kind, das sie überhaupt noch bekommen, und beglucken das Kind von oben bis unten. Und wenn ich dann noch die Marmeladen-Gespräche höre von den meisten deutschen Frauen...

Jazz und deutsche Frauen passen also nicht zusammen?

Das hat auch mit der Wahl des Musikinstruments zu tun. Neulich habe ich eine Schwedin getroffen, die Bassposaune spielt. In Deutschland spielen Mädchen Flöte und Geige. Cello geht auch nicht, weil man da die Beine spreizen muss. Als Frau Cello oder Bassposaune zu spielen, hat was mit Freiheit und Emanzipation zu tun.

Sie sagen, dass eine Frau ohne Professorinnentitel in universitären Kreisen automatisch die Sekretärin oder Vorzimmerdame ist. Sprechen Sie da aus eigener Erfahrung?

Aber wie. Wenn ich irgendwo anrief, musste ich mir oft anhören: „Ach, und Sie sind die Sekretärin?“ Und auch als ich 1975 Dekanin an der Uni Duisburg wurde, war das nicht einfach. Ich habe lange geglaubt, Männer seien super sachlich. Ich bin nicht männerfeindlich, ich schildere nur die Realität. Als ich Konferenzen geleitet habe, ging das drunter und drüber. Wenn meinen männlichen Kollegen etwas nicht passte, rannten die einfach raus. Das ging mir auf den Geist, weil man unheimlich viel Energie verliert durch diese verdammten Kämpfe. Ich will Musik machen, ich will was für die Menschen tun und ich habe was gegen diese Hierarchien.

Ihre Mutter hat mal gesagt, du brauchst nicht zu heiraten, du studierst Musik, die Musik bleibt dir, die Kerle hauen wieder ab. War sie weise?

Ja, das kann mal wohl sagen. Gott hab sie selig.

Jetzt sind Sie eine ledige Musikprofessorin. Wäre Ihre Mutter stolz auf Sie?

Stolz ist das falsche Wort für meine Mutter. Sie wäre zufrieden gewesen. Stolz bedeutet für mich überall herumrennen und zu prahlen „meine Tochter, meine Tochter“. Das hätte mein Vater gemacht, der als Volksschullehrer ganz Essen-Bredeney unterrichtet hat. Aber der ist 1961 schon gestorben. Der hat nicht einmal meinen Doktortitel miterlebt.

Familienministerin Ursula von der Leyen (CDU) hat sieben Kinder und trotzdem Karriere gemacht. Wäre das für Sie eine Perspektive gewesen?

Für sie ist das ja wohl einfach, mit so viel Personal. Nein, wenn ich Kinder bekommen hätte, dann hätte ich mich die nächsten 20 Jahre um sie kümmern müssen. Bei sechs Stunden Üben vor dem Examen ging das nicht. Ich hätte ja schlecht sagen können: „Ich leg euch unter den Flügel und haltet die Klappe.“

Sie hatten keine Wahl?

Ich hätte allen Unrecht getan und wäre vor lauter Stress wahrscheinlich durchgedreht. Es ist ein deutsches Problem, dass es an Betreuungsmöglichkeiten fehlt. Außerdem: Die Männer können ja auch mal Babyurlaub machen.

Zurück zur Musik: 1971 gründeten Sie an der Uni Duisburg ein Jazzlabor. Dort haben sie angehende MusiklehrerInnen unterrichtet. Wie kam das an?

Bei den Studierenden fantastisch. Die kamen aus ganz Deutschland zu uns, aus Berlin, aus München. Die meisten Musikhochschulen hatten keinen Jazz, nur Klassik. An der Folkwanghochschule Essen ist es heute noch schwierig, Jazz und Schulmusik zu verbinden.

In NRW fehlen MusiklehrerInnen. Liegt das am klassisch orientierten Schulunterricht?

Es ist viel schlimmer. Die Politiker haben daran kein Interesse. Als mein Jazzlabor vor dem Aus stand, hab ich den ganzen Landtag auf den Kopf gestellt, hab jeden Politiker angesprochen, hab mit der Uni-Bigband demonstriert. Es hat nichts genützt.

Gibt es denn den Jazz überhaupt noch? Durch Einflüsse wie die Weltmusik?

Ich habe nichts gegen diese Vermischung, im Gegenteil. Ich hab ein Buch geschrieben „Jazz meets the world, the world meets jazz.“ Ich spiele inzwischen, und das ist wunderbar, mit einer Chinesin. Dann veranstalte ich Workshops mit Afrikanern. Zudem mache ich Musik mit einem Araber und neuerdings mit einem Kurden aus Anatolien. Diese Dialoge brauchen wir dringend für die kulturelle Globalisierung.

Machen Sie Weltmusik?

Ich finde es schwierig, Weltmusik zu definieren. Auf der Weltmusik-Messe WOMEX in Sevilla hat man Musik aus E-Gitarren und E-Bässe aus Mali als afrikanische Musik verkauft. Das ist aber westliche US-Popmusik. Die typischen Harfenlaute mit dem schönen Namen „Cora“ kamen gar nicht mehr vor. Das ist das Gegenteil von Weltmusik. Sie ist für mich ein durch Dialog verschiedener Musiksprachen der Welt entstandener neuer Musikstil.

Sie träumen von einem Institut für Musiksprachen der Welt?

Ja, ich habe auch versucht in Dubai an einen Scheich heranzukommen, der in ein solches Institut investiert. Ich bin auch in Verhandlung mit der Kölner Musikhochschule. Dort diskutierte die Jazz-Abteilung zwei Tage lang, ob man zu einem Symposium auch Beiträge aus Rock und Pop einbringen soll. Von mir ganz zu schweigen. Mir hat jemand gesagt: „Also weißt du, Ilse, du bist zu lebendig.“ Was sind das für Jazzer? Das ist auch wieder ein deutsches Problem.

Aber den Jazz-Begriff würden Sie so stehen lassen? Trotz der ganzen Einflüsse?

Ja, wenn man ihn richtig definiert. Wenn es um Terminologie geht im Jazz, da weiß ich ziemlich gut Bescheid, weil ich das ja seit 30 Jahren mache. Und in meiner Habilitation über Dave Brubeck habe ich mich ja auch mit Analyse, Methodologie und Technik beschäftigt. Im Afrikanischen oder Afroamerikanischen gibt es eine schöne Definition von Jazz. „Dzedzo“ kommt aus der westafrikanischen Sprache „Ewe“ und heißt „to get in extasy“.

Und Sie selbst geraten auf Ihren Vorträgen auch in Extase?

Ja, regelmäßig. Ich bin viel zu lebendig für Deutschland. Manchmal krieg ich sogar Hausverbot. Im Restaurant hat man mir einmal gesagt: Sie können hier essen, aber nicht mit den Menschen reden. Ja, wo leben wir denn eigentlich? Ich muss immer mal raus. Ich halte das nicht aus hier.

Sie haben ja auch mal Stefan Raabs Sendung „TV Total“ aufgemischt.

Ja, ja, die habe ich gesprengt. Das ist ne Verblödungs- und Versauungsaktion. Fürchterlich.

Sie sind auch hingegangen, um sie zu sprengen?

Das hat sich so entwickelt. Ich mach ja immer pata pata mit der Trommel. Ich bekam einen Anruf von Brainpool, seiner Firma. Sie kennen doch Stefan Raab. Nee, hab ich gesagt. Ich hab mir die Sendung angeguckt. Da war der Raab dabei, einen kleinen stotternden Jungen zur Sau zu machen. Und das fand ich sowas von übel.

Aber Sie sind trotzdem hingegangen?

Ich hab angerufen und gesagt, nur unter meinen Bedingungen. Sie haben den Anweisungen von der Firma Brainpool Folge zu leisten, musste ich mir anhören. Ich und Folge leisten. Ich ruf wieder an und sage: „Das ist gegen das Grundgesetz, Artikel fünf, Meinungsfreiheit, das höchste Gut des Menschen.“ Meine Studenten haben gesagt, mach den Raab fertig. Aber ich habe ihn einfach links liegen gelassen. Er ist mir dann hinterhergerannt. Dann kamen die Artikel „Professorin sprengt TV-Total“. Warum machen das nicht mehr Leute? Warum lassen die sich von Raab und Bohlen behandeln wie der letzte Dreck? Solche Sendungen würde ich verbieten. Ich hab den bösen Verdacht, dass man das extra macht, damit die Leute gar nicht zum kritischen Denken kommen.

Wir haben ja noch gar nicht über Ihr Bundesverdienstkreuz gesprochen...

War ne schöne Fete, ich hab alles wieder selber organisiert, wie immer. Wie bei meiner Abschlussfete bei meiner Emeritierung. Da kriegste nach dreißig treuen Dienstjahren auch nur einen feuchten Händedruck und vielleicht ein Glas Sekt und das war‘s dann. Ich hab dann gesagt, ich bin das leid, ich hab das Jazzlabor aufgebaut, die Uni Duisburg-Bigband und andere Ensembles, ich will dass ihr alle spielt. Wenn man nicht alles selbst macht, passiert nichts.