: Strenger als gedacht
STRAFRECHT Die Bundesanwaltschaft: Das Strafgesetz bleibt für Soldaten anwendbar
FREIBURG taz | Nach wie vor müssen Bundeswehrsoldaten mit Strafverfolgung rechnen, wenn sie in Afghanistan den Schutz von Zivilisten vernachlässigen. Zwar hat die Bundesanwaltschaft (BAW) inzwischen das Ermittlungsverfahren gegen Oberst Klein wegen des September-Bombardements eingestellt. Der dabei verwendete Maßstab ist aber strenger als erwartet. Denn die Ankläger haben neben dem Völkerstrafgesetzbuch auch das allgemeine Strafrecht für anwendbar erklärt.
Das deutsche Völkerstrafgesetzbuch, das bei bewaffneten Konflikten anzuwenden ist, gilt als recht soldatenfreundlich. Es droht zwar Haft bis zu fünf Jahren an, wenn der Tod von Zivilisten nicht im Verhältnis zum militärischen Nutzen einer Aktion stand – aber nur wenn die Soldaten dieses Missverhältnis „sicher erwarteten“. Es entstand deshalb schnell der Eindruck, dass das Völkerstrafgesetzbuch den Soldaten im militärischen Alltag weitgehend freie Hand lässt.
Nun stellte die BAW fest, dass auch das Strafgesetzbuch anwendbar bleibt. Zwar werde danach ein Soldat nie für eine militärische Handlung bestraft, wenn die Aktion völkerrechtlich zulässig war. Doch im Umkehrschluss heißt dies: Jede Verletzung des Völkerrechts kann zu einer Anklage wegen Mord, Totschlag oder fahrlässiger Tötung führen.
Relevant ist in diesem Zusammenhang vor allem der völkerrechtliche Schutz der Zivilbevölkerung. Geregelt ist er für Bürgerkriege wie in Afghanistan im 2. Zusatzprotokoll zu den Genfer Konventionen. Dort heißt es zum Beispiel: „Die Zivilbevölkerung und einzelne Zivilpersonen genießen Schutz vor den von Kampfhandlungen ausgehenden Gefahren.“ Die BAW schließt daraus, dass Soldaten bei der Planung eines tödlichen Angriffs „alle gebotene und praktikable Aufklärung“ zum Schutz von Zivilisten vornehmen muss. Unter Umständen könnten sogar Warnhinweise zum Schutz von Zivilisten erforderlich sein.
Wie weit die Aufklärungs- und Warnpflichten konkret gehen, hängt aber immer von den Umständen des Einzelfalls ab. Eindeutige Regeln und damit Rechtssicherheit gibt es also gerade nicht. Die Soldaten können nur darauf hoffen, dass die Bundesanwaltschaft in ihrem Fall die Umstände genauso soldatenfreundlich auslegt wie bei Oberst Klein. CHRISTIAN RATH