: Einladung an die Meckerfraktion
RADSPORT Der neue UCI-Boss Brian Cookson verspricht Transparenz und will die finsteren Dopingepochen aufarbeiten. Seine Unabhängigkeit muss er noch unter Beweis stellen
SPRINTER JOHN DEGENKOLB
AUS FLORENZ TOM MUSTROPH
Vielleicht ist er tatsächlich der Richtige. Vorschusslorbeeren hat der neue Präsident des Weltradsportverbands UCI genug erhalten. Travis Tygart, der Chef der US-Anti-Doping-Agentur, begrüßte Cooksons Wahl als „Votum des Radsports für eine neue und saubere Zukunft“. Tygart, der von Cooksons Vorgänger Pat McQuaid mit allen Tricks bei der Aufdeckung des Dopingsystems von Lance Armstrong behindert wurde, schickte dem Abgewählten noch einen hämischen Gruß hinterher: „Die Wahlen senden eine starke Nachricht, dass Sportfunktionäre, die die Rechte der sauberen Athleten und die Integrität des Sports nicht schützen, zur Verantwortung gezogen werden.“
Cooksons Wahl wurde auch von den Sportlern begrüßt. „Nach all dem, was wir in den letzten Jahren als unsere Position genannt haben, dürfte es doch niemanden wundern, wenn wir einen Wechsel mit Cookson begrüßen“, meinte salopp der letztjährige WM-Vierte, John Degenkolb. Der Bayer hatte sich wie seine Profikollegen Tony Martin und Marcel Kittel für härtere Antidopinggesetze auch in Deutschland ausgesprochen. Denn die bequeme Meckerposition, die viele in Deutschland eingenommen hatten, als sie – zu Recht – auf den Doping verseuchten Radsport schimpften und sich ernüchtert aus dieser vergifteten Zone zurückzogen, ist in Zukunft nicht mehr haltbar. Cookson lud ausdrücklich „Europas stärkste Ökonomie zur Rückkehr in den Radsportmarkt“ ein. Um diese Rückkehr zu erleichtern, will er für „Transparenz im Management, wahrhaft unabhängige Dopingkontrollinstanzen und eine ebenfalls von den UCI-Gremien unabhängige Aufklärung des Dopings der Vergangenheit“ sorgen. Er will vor allem Vertrauen wiederherstellen.
Das könnte dem gelernten Landschaftsarchitekten aus dem malerischen Lancashire durchaus gelingen. Im Verwaltungsbezirk Pendle im Osten Lancashires, der zuvor allenfalls durch ausufernde Hexenprozesse im 17. Jahrhundert internationale Aufmerksamkeit erregt hatte, wurde Cookson vor seiner Wahl zum UCI-Präsidenten mit lobenden Worten über seine Aufbauarbeit im Wohnungsbauprogramm, bei der Erneuerung des Stadtzentrums von Nelson und dem Umbau des alten Industrieareals Brierfield Mill in ein ländliches Gründerzentrum verabschiedet. Der Mann hat demnach Erfahrung mit Transformationsprozessen. Als Präsident von British Cycling hatte er auch seinen Anteil an der Entwicklung des britischen Radsportverbands von einem Mauerblümchen zu einem sowohl auf der Straße wie auf der Bahn dominierenden Fachverband. Dass er trotz der Millionen, die der TV-Sender Sky in die Infrastruktur steckte, seit 1997 sein Amt als Präsident von British Cycling ehrenamtlich ausübte, ist im Pöstchen- und Spesengewerbe des organisierten Sports ebenfalls ein erfreuliches Novum.
Dies ist auch ein Signal, dass er sein Versprechen, in seinem neuen Amt unabhängig von den Interessen des russischen Radsportmilliardärs Igor Makarow zu agieren, durchaus erfüllen könnte. Dies ist seine Achillesferse. Der Putin-Vertraute Makarow hatte Cooksons Wahlkampf mitfinanziert. Der von Makarow finanzierte Rennstall Katusha gilt in Management- und in Antidopingfragen nicht als Musterbeispiel an Transparenz. Wenn Brian Cookson auch hier für „wahrhaft unabhängige Untersuchungen“ sorgt, ist er tatsächlich ein Glücksfall für den Radsport. Wenn’s schlecht läuft, wird er zu einem Schrumpf-Obama – hoffentlich ohne voreilige Verleihung diverser Preise.