Triumph im Elend

SZENISCHE LESUNG Das meiste ist in ihrem Leben schiefgelaufen. In Roddy Doyles Roman „Paula Spencer“ kämpft die 48-jährige Putzfrau um ein neues Leben – und ihre vier Kinder. Zum 1. Mai bringt die Vers- und Kaderschmiede die irische Antiheldin auf die Bühne

Doyle beschreibt den Kampf um Würde mit einer Zärtlichkeit, die nie kitschig wird

VON ROBERT MATTHIES

Paula Spencers Leben ist besser geworden. Nicht viel besser, aber die Irin nimmt es jetzt in die eigenen Hände, ringt um ein neues Selbstbewusstsein, ein Stück zurückgewonnene Normalität. 1996 hatte der irische Schriftsteller Roddy Doyle, trotz Booker Prize hierzulande immer noch unbekannter als die Verfilmung seines Romans „The Commitments“, die leidenschaftliche Dublinerin aus der Unterschicht das erste Mal zur Protagonistin eines Romans gemacht.

Für die damals 39-Jährige ist in „Die Frau, die gegen die Tür rannte“ das meiste im Leben schiefgelaufen. So richtig schlecht lief alles seit dem Tag, an dem sie Charlo kennengelernt hat, ihre große Liebe, ihren jähzornigen Mann, mit dem sie vier Kinder hat, der sie nun schon 17 Jahre lang verprügelt hat. Paula flüchtet sich in den Alkohol. Von ihren Wünschen und Sehnsüchten ist nicht mehr viel übrig, der Lebenstraum endgültig zum Alptraum geworden. Illusionen macht sie sich keine mehr: „Macht eure Hausaufgaben, betet schön, putzt euch die Zähne, sagt bitte und danke – und es wird euch so gehen wie mir.“

Aber Paula Spencer hat nie aufgegeben, auch wenn das harte Leben im irischen Arbeitermilieu ihr zwischen zwei Jobs, meist als Putzfrau, kaum Zeit zum verschnaufen lässt. Zehn Jahre sind so vergangen, in ein paar Wochen wird sie 48. „Aber das stört sie nicht. Nicht wirklich.“

Denn jetzt erobert sie sich als Witwe – der bis zum letzten Tag verzweifelt geliebte prügelnde Ehemann ist auf der Flucht vor der Polizei ums Leben gekommen – Stück für Stück ihr eigenes Leben zurück. Dazu gehören vor allem ihre Kinder. Der Jüngste, Jack, lässt sich sogar durchs Haar streichen, ab und zu. Und wartet, dass sie wieder zur Flasche greift. Nicola hat Erfolg im Leben. Und ist schrecklich selbstgerecht. Die größten Sorgen aber macht Leanne, die längst selbst Alkoholikerin geworden ist.

Aber Paula greift nicht mehr zur Flasche. Und die Dose, die sie dann doch mal nachts unter dem Bett von Leanne hervorgeholt hat, auf dem Boden kriechend, die war schon leer. Überhaupt geht es nach oben. In der Putzkolonne ist sie eine Stufe aufgestiegen, beaufsichtigt sogar Männer, die nach Feierabend die Putzmäntel ausziehen und die feinen Anzüge wieder an. Auch ein eigenes Konto hat sie nun, das erste Mal im Leben, besser ohne Karte, erst mal Geld sammeln.

Roddy Doyle beschreibt den alltäglichen, prekären Kampf um etwas Würde mit einer Zärtlichkeit für seine Figuren, die niemals kitischig wird. Knappe Dialoge in authentischer Sprache, alltägliche Situationen, kleine Kämpfe mit großer Bedeutung. Lakonisch, aber immer dicht. Nie hört man dabei Paulas innere Stimme. Deren existenzielle Not drückt sich im Ungesagten aus. Keine Zeit für lange Sätze.

Trotz aller Tragik bleibt dabei Raum für Lachen. Humor als letzter Ausweg aus der Krise. Wie im Fall des riesigen Kühlschranks. Eigentlich ein nettes Geschenk einer Freundin. Wenn er nur nicht immer so leer wäre.

Und so ist „Paula Spencer“ im Grunde ein Stück über einen kleinen Triumph. Einen Ausweg aus dem Elend gibt es nicht. Der Rücken: für immer im Eimer, der Körper: eine „Landkarte der Misshandlungen“. Aber vielleicht noch mal einen Liebhaber, der kein Idiot ist. Und in der Konditorei ein wenig Respekt. Und keinen Alkohol mehr.

Von Mittwoch bis Freitag bringt die Vers- und Kaderschmiede in Zusammenarbeit mit dem DGB Roddy Doyles untypische Antiheldin der Arbeit zum 1. Mai gleich dreimal mit einer szenischen Lesung auf die Bühne. Mit dabei sind die SchauspielerInnen Gilla Cremer, Robert Stadlober, Pheline Roggan, Antje Basedow und Jessica Kosmalla.

Was daraus zum Kampftag der Arbeiterklasse zu lernen ist? Das Kämpfen. Und worum es geht: „Das Leben ist schön. In diesem Augenblick ist das Leben schön. Vielleicht geht es bald wieder den Bach runter. Nein. Heute nicht. Und morgen ist es vielleicht genauso schön. Warum eigentlich nicht?“

■ Mi, 28. 4. bis Fr, 30. 4., je 20 Uhr, Polittbüro, Steindamm 45