: Österreich wird etwas blauer
WAHLEN Obwohl es für eine Neuauflage der Großen Koalition aus ÖVP und SPÖ reicht, können sich die Rechtspopulisten als Sieger fühlen
AUS WIEN RALF LEONHARD
Selten sahen Sieger nachdenklicher aus. Die Regierungskoalition aus SPÖ und ÖVP wurde zwar bei den österreichischen Nationalratswahlen vom Sonntag bestätigt, aber gleichzeitig deutlich abgestraft. Mit 99 von 183 Mandaten ist die absolute Mehrheit zwar solide abgesichert, doch ein Auftrag für ein „Weiter so“ lässt sich daraus nicht ablesen.
FPÖ-Chef Heinz Christian Strache darf sich mit 21,4 Prozent als Wahlsieger feiern lassen. In der Steiermark, wo unzufriedene Bürgermeister von SPÖ und ÖVP zum Boykott ihrer Parteien aufgerufen hatten, wurden die Rechtspopulisten stärkste Kraft. Sogar in der ÖVP-regierten Landeshauptstadt Graz haben die Freiheitlichen die Nase vorn. Jörg Haider hat die FPÖ, so der Politologe Anton Pelinka, vom bäuerlich-nationalen Honoratiorenverein zur proletarischen Protestpartei umgepolt. Der rechtsextreme Kern muss damit leben, dass die Partei stärkste Kraft unter den Arbeitern geworden ist.
Das ist gerade in den Industriebezirken der Steiermark dramatisch nachzuvollziehen. Dort musste die SPÖ 8 Prozentpunkte und mehr an die FPÖ abgeben. Der Führerkult, der um Parteichef Strache betrieben wird, kommt bei männlichen Wählern mit geringer Bildung gut an. Die SPÖ konnte ihre relative Mehrheit nur dank des Rentnervotums noch einmal verteidigen. Strache diente sich noch am Wahlabend keck als Partner für die SPÖ an. Es sei an der Zeit, dass die Sozialdemokraten „ihre Ausgrenzungspolitik beenden“. Die Abfuhr von Werner Faymann folgte auf dem Fuße. Der Kanzler begibt sich damit zwar einer taktischen Alternative und liefert sich der ÖVP aus. Doch er weiß, dass so ein Bündnis die Partei zerreißen würde.
Vizekanzler Michael Spindelegger (ÖVP) kann als Juniorpartner seine Bedingungen diktieren. Ihm bleibt als Alternative zum Status quo noch die Möglichkeit, sich von Strache zum Kanzler machen zu lassen, wenn das Team Stronach des Milliardärs Frank Stronach das Experiment mitträgt.
In der ÖVP gibt es genug Leute, die laut über eine solche Dreierkoalition nachdenken, als hätte es nie die von Korruptionsskandalen geprägte Regierungsbeteiligung der FPÖ unter Wolfgang Schüssel gegeben. Einer der Wortführer ist der Kärntner ÖVP-Chef Gabriel Obernosterer, der von einer „Neuauflage von Rot-Schwarz“ abrät.
Als Koalitionspartner will sich auch Matthias Strolz mit seinen Neos ins Spiel bringen. Seine Partei ist in der letzten Phase des Wahlkampfs mit durchaus erfrischenden Ansagen aufgefallen und will eine rot-schwarze Koalition quasi als Katalysator beleben. So unterstützt er die SPÖ in Bildungsfragen mit der Forderung nach einer gemeinsamen Schule bis 15 und steht hinter der ÖVP, wenn es um die Reform des Rentensystems geht. Sich selbst sieht er als nächsten Bildungs-, Wirtschafts- oder Außenminister, obwohl die Neos mit 5 Prozent und voraussichtlich zehn Sitzen die kleinste Partei im Parlament sein werden.
Keinen Ministerposten wird es für die Grünen geben, die mit knapp über 12 Prozent (nach jüngsten Hochrechnungen) nur bescheiden zulegen konnten. Parteichefin Eva Glawischnig, die bei allen Umfragen hohe Popularitätswerte bescheinigt bekam, steht vor der wohl unlösbaren Aufgabe, die grüne Kernklientel und Angebote für neue Wähler unter einen Hut zu bringen. Keine Partei hat kritischere Wähler und vor allem Wählerinnen als die Grünen. Viele von ihnen räsonierten darüber, dass sie diesmal ihrer Partei die Stimmer verweigern würden, weil ihnen der Wahlkampf zu bunt war oder die Regierungsbeteiligung in Salzburg als Verrat erschien.
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