: Nur wenig Neues im „Demokratiepaket“
TÜRKEI Regierungschef Recep Tayyip Erdogan enttäuscht die Kurden mit seiner Ankündigung
AUS DIYARBAKIR JÜRGEN GOTTSCHLICH
Der Berg kreißte und gebar eine Maus. Seit Wochen war in der Türkei darüber diskutiert worden, dass Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan den stagnierenden Friedensprozess mit der kurdischen Arbeiterpartei PKK wieder in Gang bringen müsste, die seit drei Jahrzehnten in der Türkei als Terrororganisation verfolgt wird. Die Kurden warteten auf konkrete Angebote – und Montag sollte der Tag sein, an dem diese Angebote unterbreitet werden würden.
Die regierende Partei für Fortschritt und Gerechtigkeit AKP hatte mit großem propagandistischen Aufwand dafür gesorgt, das die Erwartungen an das neue „Demokratiepaket“ immer höher stiegen. Erdogan würde, so hofften viele, nicht nur die Wünsche der Kurden, sondern auch der großen alevitischen Minderheit im Land erfüllen.
Noch am Wochenende prophezeite der Ministerpräsident bei einer Großkundgebung an der Ägäisküste, sein Demokratiepaket werden große Überraschungen enthalten.
Doch als Erdogan dann sein Demokratiepaket auspackte, war die einzige Überraschung für die Kurden der überaus dürftige Inhalt: Neben Forderungen nach Hafterleichterungen für PKK-Chef Öcalan oder mehr Selbstbestimmungsrechten in den kurdischen Gebieten war in den letzten Monaten hauptsächlich über die Notwendigkeit eines kurdischen muttersprachlichen Unterrichts an den Schulen diskutiert worden.
Doch daraus wird erst einmal nichts. An staatlichen Schulen bleibt Kurdisch tabu. Der Ministerpräsident will lediglich zulassen, dass demnächst an Privatschulen in kurdischer Sprache unterrichtet werden kann.
Dazu kommen noch zwei eher kosmetische Angebote: Nicht mehr verboten sein sollen demnächst die Buchstaben q, w und x, die im türkischen Alphabet nicht enthalten sind, in der kurdischen Sprache aber häufig vorkommen.
Außerdem soll es Parteien zukünftig erlaubt sein, ihre Wähler auch auf Kurdisch anzusprechen. Als Zugabe versprach Erdogan dann noch, dass einige Dörfer, deren Namen nach dem Militärputsch 1980 türkisiert worden waren, wieder ihre ursprünglichen kurdischen Namen annehmen dürfen. Außerdem könnte die Sperrklausel für den Sprung ins Parlament von bislang 10 Prozent künftig womöglich gesenkt werden. Das war es dann aber auch schon. Für die Kurden, insbesondere die PKK und die legale kurdische Partei des Friedens und der Demokratie BDP, brachte dieser Montagmorgen zweifellos eine große Enttäuschung. Da half es wenig, dass sie im Vorfeld bereits vorgebaut hatten und die BDP-Chefin Gültan Kisanak auf einer Parteiveranstaltung in Diyarbakir verkündete, man erwarte von dem Demokratiepaket „gar nichts“.
In den ersten Stunden nach Erdogans Rede blieb die BDP gestern erst einmal stumm. Man musste innerhalb der Partei eine Sprachregelung festlegen. Unabhängige kurdische Intellektuelle machen jedoch keinen Hehl daraus, dass Erdogan mit seinem Demokratiepaket so gut wie nichts geliefert hat. „Das war ja gar nichts“, sagte Sertac Bucak, Mitarbeiter der unabhängigen Bürgerinitiative DISA, der taz. „Diese Nichtangebote zeigen, dass die Gespräche der Regierung mit PKK-Chef Abdullah Öcalan längst noch nicht das Stadium von Verhandlungen erreicht haben.“ Immerhin könnte das Angebot von Privatschulen eine Möglichkeit sein, glaubt Bucak: „Reiche Kurden müssen nun Geld für die Einrichtung von Privatschulen bereitstellen“, hofft er, „dann könnte man immerhin einen Anfang machen, ohne auf die Forderung zu verzichten, dass auch an staatlichen Schulen Unterricht in Kurdisch eingeführt werden muss.“ Bucak hofft außerdem, dass damit auch das Vorhaben, in Diyarbakir eine private kurdische Universität zu gründen, weitere Unterstützung finden wird. Zur Frage, ob die PKK nach diesem Auftritt von Erdogan ihren Waffenstillstand beenden würde, sagte Bucak: „Ich weiß es nicht, aber ich hoffe nicht“.