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LARS PENNING
Als Mitte der 1980er Jahre die Young Urban Professionals (kurz: Yuppies) als Helden des US-Kinos entdeckt wurden, war das für die Komödie ein Glücksfall: Kaum etwas ließ sich in der Konfrontation mit dem Unkonventionellen und Exotischen so schön durcheinanderbringen wie das angepasste Leben von Konsum- und Karrierefreaks, deren Bestimmung sich einzig im Studium von Aktienkursen zu erfüllen schien. In Jonathan Demmes „Something Wild“ (1986) verkörpert Jeff Daniels den jungen Finanzberater Charlie Driggs, der von einer Frau namens Lulu (Melanie Griffith mit Louise-Brooks-Pagenkopf-Perücke) völlig überrollt wird: Kaum, dass er in ihrem Auto sitzt, wandert sein Pager aus dem Fenster, die Termine in der Bank sind beim Teufel – und schon findet sich Charlie, dessen rebellischste Großtat bislang darin bestand, gegen den Rat seiner Kollegen Kommunalobligationen gekauft zu haben, in einem Motel beim Fessel-Sex mit Lulu wieder, die zuvor in einem Spirituosenladen schnell noch vier Flaschen Whisky und die Ladenkasse geklaut hat. Geht es anfangs allein um Tempo und Spaß, um das Screwball-Vergnügen an Hemmungslosigkeit und peinlicher Verlegenheit, so bewegt sich der Film mit seiner alsbald anbrechenden Reise in das Herz der Finsternis, das sich bei Demme nicht im Großstadtdschungel befindet, sondern irgendwo in der Provinz bei Philadelphia, zusehends ins Land eines liebevoll ausgemalten Roadside-Americanas mit spießigen Klassentreffen und Touristenkitsch verkaufenden Tankstellenshops, ehe er in der Begegnung mit Lulus gewalttätigem Ex-Ehemann auch noch einen Schlenker in den Thriller unternimmt. Doch das bleibt ebenso schlüssig wie die Figuren menschlich. Zu sehen in der Filmreihe „Cinema of Outsiders – Der US-amerikanische Independent-Film 1977–1989“ im Zeughauskino. (OF, 5. 10., 8. 10. Zeughauskino)
Eine junge Frau schleicht sich in eine Piratenbande ein, um an deren Anführerin den Tod ihres Bruders zu rächen. Was in der Zusammenfassung des Plots wie die Geschichte eines Hollywood-Piratenfilms klingt, ist tatsächlich Jacques Rivettes’ Reflexion des Genres in seinem Quasi-Experimentalfilm „Noroît“ (1977), einer farbenprächtigen Reise ins Land der Mythen, in dem die Piratenkönigin (Bernadette Lafont) im lila Hosenanzug auftritt und ihrer Gegenspielerin (Geraldine Chaplin) am Ende in einem tödlichen Duell begegnet, das mehr mit Improvisation und Tanz als mit Säbelrasseln zu tun hat. Ein nicht eben einfach zugänglicher Film. Kann man sich jedoch von der Erwartung einer schlüssigen Narration befreien, erleichtert „Noroît“ den Zugang zu Rivettes Gesamtwerk, das zurzeit in einer Retrospektive im Arsenal-Kino läuft. (OmU, 5. Oktober, Arsenal 1)