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Archiv-Artikel

Objekte durch den Raum fliegen lassen

GEBÄRDENPOESIE Erstmals treffen bei einem Poetryslam gehörlose und hörende Dichter aufeinander. Die Veranstalter Andreas Costreau und Wolf Hogekamp hoffen damit, Inklusion auch auf den Bühnen zu etablieren

Poetryslam Inklusiv

Beim Poetryslam beeindruckt der Dichter sein Publikum mit Worten – beim Deafslam offenbart der gehörlose Dichter die Poesie der Gebärdensprache. Beide Formen treffen beim „Poetryslam Inklusiv“ zusammen. Vier Sprachpoeten und vier Gebärdenpoeten treten auf, die Vorträge werden jeweils in Gebärden- bzw. Lautsprache übersetzt und es spielt keine Rolle mehr, ob man hörend oder nicht hörend ist.

■ Poetryslam Inklusiv: Volksbühne, Rosa-Luxemburg-Platz, 04. 10., 20 Uhr, 12/8 €

VON SEYDA KURT

Um Sprache geht es. Ja, da sind sich Wolf Hogekamp und Andreas Costreau einig. Das ist nicht immer so. „Gebärdenpoeten erzählen in Bildern. Daher übersetzen die Gebärdendolmetscher oft assoziativ“, sagt Hogekamp. Costreau entgegnet: „Meine Meinung und Gedanken aber kann man nicht immer in Bilder fassen.“

Costreaus Muttersprache, wie er sie nennt, ist die Gebärdensprache. Ohne sein Hörgerät kann er die Lautsprache nicht verstehen. An verschiedenen Instituten unterrichtet er Gebärdensprache für Hörende. Hogekamp ist sozusagen ein Guru der Berliner Szene und organisiert die älteste Poetryslam-Reihe in Deutschland. Außerdem veranstaltet er Workshops, seit einiger Zeit auch für gehörlose Künstler. Gemeinsam organisieren Costreau und Hogekamp am Freitag einen Slam mit dem Motto „Poetryslam vs. Deafslam“. Vier Sprachpoeten und vier Gebärdenpoeten werden in ihrer eigenen Sprache um die Gunst des Publikums kämpfen. Die Auftritte werden dabei in Gebärdensprache, beziehungsweise in Lautsprache übersetzt.

„Dabei ist der Begriff Deaf nicht ganz passend“, erklärt Andreas Costreau. „Deaf bezeichnet einen gehörlosen Menschen. Und Slam bedeutet „schmeißen“. Es wird Etwas auf die Bühne geworfen und in diesem Falle der Gehörlose.“ Also sprechen wir lieber vom Gebärdenslam. Bereits im Frühling gab es in verschiedenen Großstädten die ersten Gebärdenslams, die von Aktion Mensch organisiert wurden. Hogekamp und Costreau saßen damals in der Jury. Der Poetryslam Inklusiv am Freitag ist eine Premiere für sie, denn es ist das erste Festival für Gehörlose und Hörende zusammen.

Die Begeisterung der gehörlosen Poetryslammer für den Abend sei groß, so Costreau. Denn seit etwa zwei Jahren etabliere sich die Szene, wenn auch nur langsam. „Inklusion findet genau dort auf der Bühne statt. Zumindest ist es ein Versuch dazu.“ Es gebe mittlerweile schon eine ganze inklusive Industrie und die Sensibilität für Gebärdensprache sei in letzter Zeit deutlich höher geworden, sowie für Inklusion an sich. Das merke Costreau auch an dem Interesse für seine Gebärdensprachkurse.

„Für einen Lautsprachler ist ein guter Gebärdenpoet jemand, der ein überzeugendes Skript hat“

WOLF HOGEKAMP, SLAM-MASTER

Aber wie hat man sich Gebärdenpoesie vorzustellen? Immerhin erscheint sie Laien oft als sehr funktional. Adverbiale Bestimmungen stehen am Anfang des Satzes und Verben werden sowohl nach dem Subjekt als auch am Ende des Satzes gebärdet. Können Gebärdensprachler überhaupt mit dem üblichen Verständnis von Poesie etwas anfangen? „Es gibt verschiedene Stile von Gebärdensprache. Gebärdenpoesie ist eher visuell. Mal ist der Poet ein Baum, mal ein Auto.“ Ihre Performance unterstützen die Künstler mit rhythmischen Lauten. Sie können etwa summen, um ein Objekt immer näher kommen zu lassen. „Du schreibst mit dem Körper.“ Bei den Gebärdensprachlern, wie auch bei dem hörenden Zuschauer, müsse auf diese Weise ein Bild entstehen.

Also ist es möglich, dass auch Gebärdensprachler für hörende Zuschauer eine Identifikation bieten? Selbstverständlich erzählen Gebärdensprachler, so Costreau, bei ihren Performances von ihren Alltagserfahrungen, wie hörende Poetryslammer auch. Gebärdensprachler seien aber auch im Stande durch Gebärden Geschichten zu erzählen, meint Hogekamp, Poetryslam sei ein Bündelliteraturformat: „Für einen Lautsprachler ist ein guter Gebärdenpoet jemand, der ein überzeugendes Skript hat.“ Die Gebärdensprache ist eine dreidimensionale Sprache. Der Poet kann ein imaginäres Objekt in der Mitte des Raumes platzieren, an ihm herumschrauben, drehen und durch den Raum fliegen lassen. „Daher ist die Gebärdensprache viel genauer“, sagt Costreau. „Du kannst in weniger Zeit mehr Informationen vermitteln.“ Während ein Lautsprachler „Das Handy liegt dort.“ sagt, könne ein Gebärdensprachler in der selben Zeit mit seinen Gesten Größe, Aussehen und die genaue Lage des Handys beschreiben.

Im nächsten Jahr möchten die beiden einen U-20-Poetryslam als inklusives Festival organisieren. Erst einmal wünschen sie sich jedoch, dass der Poetryslam am Freitag gut ankommt. „400 Besucher wären schon cool“, sagt Hogekamp. „Nein, 400 Besucher sind sicher“, entgegnet Costreau.