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Archiv-Artikel

White House Shutdown

HAUSHALTSKRISE Die US-Regierung schickt 800.000 „nicht wesentliche“ Beschäftigte in den unbezahlten Zwangsurlaub. Andere müssen zwar weiter arbeiten, bekommen aber keinen Lohn ausbezahlt

Wer in die USA reisen will …

■ … kann das weiterhin tun. Bei einem Pressegespräch am Montag sagte der neue US-Botschafter in Deutschland, John B. Emerson: „Unabhängig davon, was geschieht, werden die US-Auslandsvertretungen in Deutschland – also unsere Botschaft und unsere Konsulate – morgen und übermorgen und darüber hinaus offen bleiben und ihrer Arbeit nachgehen. Wir werden für alle wesentlichen Dienstleistungen geöffnet haben. Unsere Konsularabteilungen werden sowohl für deutsche als auch für amerikanische Staatsbürger geöffnet haben. Wenn Sie also einen Termin haben, halten Sie ihn ein. Es wird jemand vor Ort sein, mit dem Sie sprechen können.“ Auch die Flughäfen in den USA werden nicht geschlossen – die nationalen Bediensteten der Flugsicherheit bleiben im Job. (pkt)

AUS WASHINGTON DOROTHEA HAHN

So viel geballte Wut war schon lange nicht mehr auf die Mitglieder des Kongress. Am Montag zeigten Meinungsumfragen, dass nur noch 10 Prozent der US-AmerikanerInnen irgendetwas Positives an der Arbeit ihrer gewählten VolksvertreterInnen finden können.

Das entspricht den Beobachtungen dieser Korrespondentin. Sie hat am selben Tag in einem Aufzug in Washington den Satz gehört: „Wir sollten sie alle auf den Mond schicken.“

Montag war der Tag, an dem der Kongress die Regierung stillgelegt hat. Ein „Shutdown“ ist, wenn die Regierung keinen Haushalt mehr hat. Und diesen Zustand kann der Kongress in Washington auslösen, indem er ganz einfach keinen neuen Haushalt bewilligt.

Seit dem 1. Oktober sind sämtliche „nicht wesentlichen“ Beschäftigten der US-Regierung in den Zwangsurlaub geschickt. Es ist der erste Shutdown seit den Jahren 1995/1996. Und er ist unbefristet.

Präsident Barack Obama, der die Kongressabgeordneten am späten Montagabend ein letztes Mal dazu aufgerufen hat, ihre Pflicht zu tun und einen neuen Haushalt zu verabschieden, nennt den Zustand eine „selbst beigebrachte Verletzung“. Er prognostiziert auch, dass der Shutdown der fragilen US-Ökonomie, die sich erst ganz allmählich von der 2008 begonnenen Rezession erholt, schweren Schaden zufügen wird.

Die Auswirkungen werden schon sehr schnell in Millionen von US-Haushalten zu spüren sein: 800.000 Regierungsbeschäftigte, die als „nicht wesentlich“ gelten, sind in den unbezahlten Zwangsurlaub geschickt worden. Zigtausende weitere Regierungsbeschäftigte – darunter GefängniswärterInnen, GrenzpolizistInnen und die LuftsicherheitskontrolleurInnen – müssen zwar weiter arbeiten, bekommen aber keinen Lohn ausbezahlt.

Zahlreiche Behörden bleiben geschlossen – darunter die Umweltbehörde EPH, die unter anderem über die Atomanlagen und Ölbohrstellen wacht und für die Einhaltung von Umweltregeln sorgt. Sie ist den RepublikanerInnen schon lange ein Dorn im Auge. Andere Behörden sind zwar geöffnet – arbeiten aber nicht, weil das in Zwangsurlaub geschickte Personal fehlt.

Die durch den Shutdown ausgelösten Schließungen reichen vom Zoo in der US-Hauptstadt über die Nationalparks in den Bundesstaaten bis hin zu gerichtlichen Standesämtern und Sozialstellen. Betroffen ist auch ein Kongress-Hearing zur Aufklärung über die Schießerei im Navy Yard in Washington mit zwölf Toten. Nicht betroffen sind unter anderem zwei als „wesentlich“ eingestufte Bereiche: die uniformierten Mitarbeiter des Militärs sowie die Spionageagentur NSA.

Wenige Stunden vor Mitternacht in der Nacht von Montag zu Dienstag hat die republikanische Mehrheit im Repräsentantenhaus einen dritten Gesetzentwurf für einen Haushalt für das Geschäftsjahr 2014 verabschiedet. Wie schon die beiden vorausgegangenen Entwürfe enthielt auch er eine neue Attacke gegen die Gesundheitsreform, die längst verabschiedet und bereits in weiten Teilen in Kraft ist.

Doch im dritten Anlauf schrieben die radikal rechten Abgeordneten der Tea Party in den Haushaltsentwurf, dass die Krankenversicherungspflicht für alle – ein zentrales Element der Gesundheitsreform – gestrichen werden müsse. Nach eineinhalbstündiger Debatte verweigerten selbst einige republikanische Abgeordnete ihre Zustimmung zur Vorlage.

Peter King, einer von ihnen, begründete: „Ich möchte nicht der Auslöser für einen desaströsen Prozess sein.“ Erwartungsgemäß lehnte der demokratisch beherrschte Senat kurz vor Mitternacht seine Zustimmung zu dem Entwurf ab.

Der Senat der Vereinigten Staaten hatte Tage zuvor einen Entwurf vorgelegt, der sich ganz ausschließlich auf den Haushalt konzentriert. Und ihn mit keinem anderen politischen Projekt verknüpft. Zahlreiche PolitikerInnen versuchten, die rechte Mehrheit im Repräsentantenhaus zur Vernunft zu bringen.

Unter diesen MahnerInnen war auch der republikanische Präsidentschaftskandidat von 2008, Senator John McCain. Er erinnerte seine Leute daran, dass die republikanische Partei im vergangenen Jahr eine Kampagne mit dem Slogan: „Schafft die Gesundheitsreform ab“ geführt – und mit dieser die Wahlen im November verloren hatte.

Die Schuldzuweisungen für den Shutdown begannen, noch bevor er in Kraft trat. Beide Seiten werden versuchen, den Stillstand politisch für ihre Zwecke auszuschlachten.

Für die Tea Party im Repräsentantenhaus, die am Anfang des Widerstands gegen einen reinen Haushalt steht, geht es vor allem um die Frage, wie viele KandidatInnen sie in die Halbzeitwahlen in etwas mehr als einem Jahr schicken kann. Diese KandidatInnen müssen sich parteiintern gegen VertreterInnen vom traditionellen Flügel durchsetzen.

Der republikanische Sprecher des Repräsentantenhauses, John Boehner, der bei den Blockadeversuchen der zurückliegenden Monate manchmal für Mäßigung gesorgt hat, spielte dieses Mal den Scharfmacher. Wie unsicher er sich in dieser Rolle ist, zeigte sich, als er tief in der Nacht zu Dienstag vor die Medien trat, um eine lang angekündigte Erklärung abzugeben.

Als nach wenigen kurzen Sätzen des Republikaners die Frage kam: „Was sagen Sie den 800.000 Zwangsbeurlaubten? Wird ihnen der Lohnausfall erstattet?“, drehte Boehner den JournalistInnen den Rücken zu – und verschwand wortlos in den Tiefen des Kapitols.