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Archiv-Artikel

Auf der Suche nach der verlorenen Freude

„Die Jahreszeiten des Glücks“ von Bohdan Sláma erzählt wunderschön von tschechischer tristesse

Man muss schon genau hinsehen, um das Glück zu entdecken in diesem Spielfilm, dessen Originaltitel aus dem tschechischen Wort für Freude, „Stestí“, besteht. Der französische Regisseur Chris Marker hat einst in seinem Film „Sans Soleil“ von seiner vergeblichen Suche nach einem Bild des wahren Glücks erzählt, und fand nur Spuren davon in der unscharfen Aufnahme von spielenden Kindern auf einem Feldweg in Island. Diese kurze Sequenz hätte Bohdan Sláma ruhig stehlen und in seinen eigenen Film montieren können, und es wäre wohl kaum jemandem aufgefallen. Denn auch er hat das Glück in solchen kleinen Momenten gesucht: beim Spaziergang durch eine karge Winterlandschaft, einem Kindergeburtstag bei sonnigem Wetter oder einfach nur in einem zaghaft hoffnungsvollen Blick.

Nach dem Elend muss man dagegen nicht lange suchen. Der Film ist in einem heruntergekommenen Industriegebiet Tschechiens angesiedelt, wo die Protagonisten entweder arbeitslos sind oder sich mit schlecht bezahlten Jobs gerade so über Wasser halten. Sie leben in einer tristen Mietskaserne oder einem halbzerfallenen Landhaus, und die Schlauen sind schon längst abgehauen. So ist Monikas Freund in die USA ausgewandert, und sie räumt nur noch so lange die Regale im Supermarkt voll, bis er sie nachkommen lässt und die beiden sich dort zusammen ein besseres Leben aufbauen werden. Doch Monikas Nachbarin Dascha ist so gierig nach ein wenig Glück für sich, dass sie darüber ihre beiden Kinder vergisst, die verwahrlost und hungrig in der Wohnung schreien und weinen. So kümmert sich notgedrungen Monika um die beiden, und zusammen mit dem weichherzigen Träumer Toník wachsen sie langsam zu einer kleinen Ersatzfamilie zusammen, nachdem die leibliche Mutter durchdreht und in ein Sanatorium eingeliefert wird. Toník ist seit der Kindheit in Monika verliebt und die beiden sind ein ideales Paar – das sieht jeder auf den ersten Blick. Aber Monika mag Toník nur „sehr gerne“ und will unbedingt zu ihrem Freund in die USA. Die traurigen Liebesgeschichten sind immer die schönsten, und Bohdan Sláma liefert hier auch großes Gefühlskino. Aber dies alleine erklärt kaum, warum „Die Jahreszeiten des Glücks“ in Tschechien alle Zuschauerrekorde brach, obwohl er doch solch ein deprimierendes Bild vom dortigen Leben zeichnet.

Sláma liebt seine Figuren, und er kennt sie genau mit all ihren Schwächen, Ängsten und Träumen. Auch die Nebenrollen sind mit den renommiertesten tschechischen SchauspielerInnen besetzt, und diese agieren so natürlich und intensiv, dass man diesen Menschen schnell sehr nah kommt. Wenn etwa Toník und Monikas Vater im Morgengrauen sturzbetrunken durchs Treppenhaus wanken, dann lallen sie zwar kaum verständlich herum, aber dabei verständigen sie sich auch so ehrlich und liebevoll miteinander, dass diese Szene zu den bewegendsten des ganzen Films zählt. An der Fahrstuhltür treffen sie dann Toniks Vater, der frühmorgens auf dem Weg zur Arbeit ist, und sein missbilligender Blick liefert einen perfekten Schluss- und Kontrapunkt. Sláma erzählt so geschickt und atmosphärisch dicht, dass vieles gar nicht ausgesprochen werden muss. Manchmal erfährt man alles Wichtige darüber, wie die Menschen zueinander stehen alleine dadurch, wie sie zusammen an einem Tisch sitzen. Bei uns macht Andreas Dresen ähnliche Filme, und in der Tschechei steht Sláma in der Tradition von Forman und Menzel. Doch er vermeidet hier deren satirische Schärfe und Ironie. Es ist ihm ernst mit dem Glück, und deswegen gelang es ihm, es ganz ohne Pathos und Sentimentalität in ein paar Momenten einzufangen. Wilfried Hippen