: Da schluckt der Kleinaktionär
Schering-Hauptversammlung im ICC: Aktionäre reagieren mit Wehmut, Wut und Sorge auf die geplante Übernahme des Unternehmens durch Bayer. Glänzende Zahlen für das erste Quartal
von Richard Rother
Eigentlich könnten sie zufrieden sein, die Kleinaktionäre des Weddinger Pharmakonzerns Schering. Immerhin 86 Euro pro Aktie bietet der Leverkusener Bayer-Konzern, um das Unternehmen zu kaufen – deutlich mehr, als das Schering-Wertpapier lange Zeit wert war. Über den möglichen Kursgewinn freuen sich nur wenige der Aktionäre, die gestern zahlreicher als sonst zur jährlichen Hauptversammlung ins Internationale Congress Center (ICC) pilgerten. Eher sorgen sie sich – darunter viele Berliner und (Ex-)Mitarbeiter – um den Pharmastandort Berlin. Und um die Arbeitsplätze.
„Für mich gibt es keine freundliche oder feindliche Übernahme“, sagt ein Aktionär. Bei Firmenfusionen würden immer Arbeitsplätze abgebaut. Schering-Vorstand und Aufsichtsrat hatten das erste Übernahmeangebot der Darmstädter Pharmafirma Merck als feindlich abgelehnt, die Bayer-Offerte hingegen begrüßt.
Ortrud Lammer, Aktionärin und Schering-Betriebsrätin, bringt das Gefühl vieler Kleinaktionäre auf den Punkt: „Ich habe ein ganz flaues Gefühl“, sagt sie. „Es verdienen einfach zu viele an dieser Übernahme.“ Zunächst sei da die Familie Merck, die sich über satte Kursgewinne durch den von ihr initiierten Übernahmekampf freuen kann. Profitieren würden auch die Banken, die Hedgefonds und die Kleinaktionäre; bei Letzteren seien es aber nur Peanuts. Lammer: „Diejenigen, die im Unternehmen die Arbeit machen, werden die Zeche bezahlen müssen.“ Manch guter Mitarbeiter suche sich jetzt schon einen neuen Job, weil die Perspektive unsicher sei. Schließlich werde Schering, das immer zu Berlin gehalten und hier Forschungen vorangetrieben habe, bei Bayer Health Care „neben Floh- und Läusepulver landen“.
„Die Übernahme tut weh“, so das Fazit von Aktionär und Betriebsrat Günter Schmitt. Schering habe bereits ein knallhartes Sanierungsprogramm durchgesetzt; jetzt sollen weitere Stellen abgebaut werden. „Es darf nicht sein, dass wir bei Schering weiter bluten müssen.“ Diese Furcht sei berechtigt, immerhin werde der „Spitzenspieler Schering bei Bayer in die Dritte Liga“ verbannt. Schmitt spart auch nicht mit kritischen Fragen an den Vorstand: Ist die Strategie, eigenständig zu bleiben, verkehrt gewesen – oder „waren die anderen einfach zu geldgierig“?
Kritik formuliert auch Aktionärsschützer Kai Weigert. „Die Positionierung als Nischenanbieter hat nicht funktioniert.“ Habe es kein anderes Unternehmen gegeben, das Schering hätte übernehmen können, fragt Weigert. Und: Welche Zusicherung habe Bayer gegeben, dass zum Beispiel der Forschungsstandort Berlin nicht nach fünf Jahren wegen angeblicher Unrentabilität geschlossen werde?
Schering-Chef Hubertus Erlen gibt auf solche Fragen nur indirekte Antworten. Ihm seien keine Äußerungen von Bayer-Verantwortlichen bekannt, die auf Verkäufe von Schering-Sparten hindeuteten. Letztlich sei dies aber eine Bayer-Entscheidung. In den vergangenen Jahren habe Schering immer die Chance genutzt, passende Unternehmen mittlerer Größe aufzukaufen, um zu wachsen. „Große, zu uns passende Akquisitionen haben wir nicht gesehen.“
Wie attraktiv Schering ist, zeigen die Zahlen des ersten Quartals dieses Jahres. In den ersten drei Monaten 2006 stieg der Gewinn unter dem Strich um 21 Prozent auf 174 Millionen Euro, wie Schering nach vorläufigen Daten mitteilte. Erlen warb noch einmal für eine Annahme der Offerte des Bayer-Konzerns, der Schering für 16,5 Milliarden Euro kaufen will. Eine Fusion bedeutet für Schering nach 155 Jahren den Verlust seiner Eigenständigkeit.