: Die Berliner Kahlschlagpolitik
Wie wichtig Bäume in der Stadt sind, betonen Politiker gerne. Dennoch werden beim Straßenausbau oft mehr Bäume gefällt als nötig. Manchmal ist Finanznot der Grund, manchmal Autofreundlichkeit, manchmal Ignoranz. Ein unvollständiger Überblick
von ULRICH SCHULTE
Der Weg ins Sommerbad Neukölln war lange von alten Bäumen beschattet. Doch in diesem Sommer fahren Erholung Suchende durch die pralle Sonne. Denn für den Ausbau von Columbiadamm und Flughafenstraße ließ das Bezirksamt im Winter fast 180 Alleebäume umsägen, teils über einen halben Meter dick. Der Grund: Straßenbelag und Radweg werden erneuert. „Die Bäume waren so geschädigt, dass sie in den nächsten Jahren ohnehin hätten gefällt werden müssen“, sagt Baustadträtin Stephanie Vogelsang (CDU).
Der Umweltverband BUND sieht das anders: „Nur ein Drittel der Bäume war krank“, sagt Umweltreferent Martin Schlegel. Mit einer schmaleren Fahrbahn samt Fahrradstreifen hätte der „tragische Kahlschlag“ verhindert werden können. „Leider spielt der Faktor Baum bei Planungsverfahren nur eine untergeordnete Rolle.“ Besonders ärgert Schlegel ein Gutachten, das der Bezirk anführte. Beim Columbiadamm, so die Expertise, handele es sich um eine „nachhaltige Baumaßnahme“.
Die Bahn kommt, das ist bekannt. Gerne auch mal mit der Kettensäge. Nachdem der Bahnhof Ostkreuz in Friedrichshain jahrzehntelang ungestört vor sich hin moderte, hat das Unternehmen im Februar mit der Rodung des Areals begonnen. Nach Anwohnerberichten fielen 100 Bäume, zum Beispiel an der Bahntrasse zwischen Ostkreuz und Treptower Park. Neben Eichen oder Pappeln seien dem Kahlschlag auch viele Büsche zum Opfer gefallen, sagt eine Anwohnerin. „Darin nisteten viele Vögel. Flora und Fauna sind in einer Woche zerstört worden.“ Die Baugenehmigung für den Umbau des Ostkreuzes steht noch aus – das Eisenbahn-Bundesamt wird den Planfeststellungsbeschluss erst im Juni 2006 absegnen. Die Bahn äußerte sich gestern nicht zu den Fällungen.
Autofahrer sind eine starke Lobby. Auf Anwohnerversammlungen artikulierten sie ihre Interessen meist sehr laut, sagt BUND-Referent Schlegel. Was dabei herauskommt, ist an der Wisbyer Straße in Prenzlauer Berg zu besichtigen. Nach der WM sollen die beiden Fahrspuren in jede Richtung erneuert und durch Parkstreifen ergänzt werden. 85 Bäume mussten dafür fallen, darunter viele 80-jährige Linden. Umweltstadtrat Matthias Köhne (SPD) verweist auf 200 junge Bäume, die neu gepflanzt würden. Beim Ausbau habe man sich zwischen den Bäumen auf dem Mittelstreifen und denen am Rand entscheiden müssen, so Köhne – die fitteren seien stehen geblieben. Die von Naturschützern vorgebrachte Idee einer schmaleren Fahrbahn mit Parkbuchten zwischen den Bäumen fand kein Gehör.
In einem Ministadion vor dem Reichstag will Adidas die WM und seine Sportschuhe ins rechte Bild rücken. Nicht ganz so imageträchtig waren die Vorarbeiten. Erst 2002 hatten Gartenarchitekten auf der Reichstagswiese in Mitte sorgfältig ein bisschen Grün arrangiert, jetzt haben Bauarbeiter 52 Bäume wieder umgesägt und die Wiese asphaltiert. Die Grünen kalauern über die „Kettensägenmeisterschaft“. Die Baukammer fragt sich, ob es nicht möglich ist, „so zu bauen, dass eine Architekturlandschaft für ein 4-Wochen-Gerüst nicht unwiederbringlich zerstört wird“. Ist es nicht. Immerhin zahlt der Konzern die Wiederherrichtung der Wiese. Hobbyfußballern hatte das Bezirksamt früher übrigens das Spiel auf der Wiese verboten – wegen einer Rasensprenganlage.
Die Anwohner nennen die 100 Jahre alte Brücke über den Gleisen am S-Bahnhof Kaulsdorf „Kaulsdorfer Galgen“. Der Senat will die marode Überführung in Marzahn-Hellersdorf abreißen und bis zum Sommer 2007 neu errichten. Das Grün neben den Rampen, die zur Brücke führen, hat das Tiefbauamt seit Mitte März roden lassen. Zu großzügig, wie viele Bürger finden. „34 Bäume sind abgeholzt“, erzählt eine Anwohnerin. „Davon viele außerhalb der Baustelle.“ Sie vermutet pure Bequemlichkeit: „So brauchen die Bagger keine Umwege zu fahren.“
Die Schulzendorfer Straße ist eine kleine, unbeugsame Allee in Reinickendorf, die dem übermächtigen Bezirksamt in den vergangenen Jahren erbitterten Widerstand leistete – allerdings ohne Erfolg. 21 alte Bäume mussten im Frühjahr 2005 weg, weil die Behörde gegen den erklärten Willen aller Anwohner die Grunderneuerung der Kopfsteinpflasterstraße durchsetzte. Die Bürger hatten energisch um das historische Straßenbild gekämpft – mit Demos, Unterschriftenlisten und einer Klage gegen den 4 Millionen Euro teuren Ausbau. Vergebens. Im Moment reißen Bauarbeiter wieder die Gehwege auf.
Manchmal wirkt Bürgerengagement Wunder. Davon kann Markus Reuter berichten, Student und Anwohner der Simon-Dach-Straße in Friedrichshain. An einem Freitag im Sommer 2005 fand er einen Zettel vom Bezirksamt an der Haustür: Die Behörde lud zur Anhörung am Dienstag ein. Der Gehweg sollte erneuert, 13 Linden sollten gefällt werden. Reuter und mehrere Nachbarn sammelten im Kiez 700 Gegenunterschriften und protestierten mit 70 Leuten auf der Anhörung. Die Behörde fällte nur einen kranken Baum – ausgerechnet den vor Reuters Haustür.