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Archiv-Artikel

KENIA NACH DER WESTGATE-TRAGÖDIE Soldaten in Bierlaune

VON ILONA EVELEENS

Kenianer reden lieber nicht mehr über den Terroranschlag auf das Einkaufszentrum Westgate in der Hauptstadt Nairobi. Der Schock nach dem Attentat der somalischen Terrorbewegung al-Shabaab wurde von Scham verdrängt. Die Leute können nicht fassen, wie viel schiefgelaufen ist beim Krisenmanagement, sowohl in den Sicherheitsbehörden wie in der Regierung. Und dann kommen auch noch die Plünderungen in den verlassenen Geschäften der Westgate-Mall hinzu.

„Was ist nur los mit uns Kenianern. Sind wir noch zu retten?“, fragt sich mein Nachbar, während er sein Auto wäscht. Er hört die Nachrichten im Radio. Während immer noch nicht klar ist, ob alle Toten geborgen sind, klagen Geschäftsleute, die Soldaten hätten bei ihrem Einsatz elektronische Geräte, Schmuck und Bargeld aus den Shops gestohlen. Die Verteidigungsministerin nimmt die Vorwürfe ernst. Sie hat versprochen, dass die Soldaten bestraft werden, falls die Vorwürfe sich als wahr herausstellen. Der Nachbar zuckt mit den Schultern. Das Wort der Behörden gilt in Kenia nicht mehr viel.

In der vergangenen Woche bekamen die Ladeninhaber Zutritt zu dem verwüsteten Einkaufszentrum, um ihre Geschäfte ausräumen zu können. Seitdem gibt es viele Bilder aus dem Inneren: Handyfotos oder -videos. Sie zeigen zum Beispiel lauter leere Bierflaschen in einem Café. Das sei eine Szene, die nach Beginn des Geiseldrama entstanden sein muss, sagt der Geschäftsführer. Denn die Entführer schlugen in den Mittagsstunden zu, da habe kaum jemand Bier getrunken. Die Geiseln und ihre Angreifer, radikale Muslime, könne man auch ausschließen. Daher zeigen in Nairobi nun viele auf die Soldaten.

Dabei war das Vertrauen in die Armee bislang groß. Sie war eine der wenigen Institutionen, die sich während der Gewaltwelle nach den umstrittenen Wahlen von 2008 neutral verhielt – anders als viele Kenianer, die entlang der ethnischen Linien Stellung bezogen. Das verstärkte den Respekt, den die Soldaten seit ihrer Beteiligung an Blauhelm-Missionen und wegen des guten Rufs im Ausland schon genossen.

Es ist generell ein schwieriges Jahr für das Land. Erst im März kam bei den Wahlen die Sorge auf, dass sich die gewalttätigen Ausschreitungen von 2008 wiederholen könnten. Sie blieben aus, doch die Wahl hat Kenia wieder gespalten. Präsident Uhuru Kenyatta und sein Vize William Ruto müssen sich vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag verantworten. Sie werden als Drahtzieher der schweren Gewaltausbrüche von 2008 mit 1.200 Toten und vielen Vertriebenen beschuldigt. Im August brannte dann die Ankunftshalle des internationalen Flughafens von Nairobi ab. Auch hier gab es Bilder von Plünderungen, damals durch Polizisten.

Zwar sind die großen Einkaufszentren in Nairobi wieder gut besucht, aber eines fällt auf: Die Menschen bleiben nicht lange. Am vorigen Wochenende, zum Monatsende, beeilte sich ganz Nairobi mit den Einkäufen. Die Gehälter waren gerade ausbezahlt. Im Gegensatz zu früher mochten die Menschen aber nicht auch noch die Restaurants und Bars besuchen. Sie suchten sich Plätze außerhalb. Gefeiert wurde dann aber doch mit viel Lärm und Alkohol. Eine meiner Bekannten erklärte mir, sie habe das gebraucht: „Ein paar Stunden die Tragödie vergessen.“