JAN FEDDERSEN über PARALLELGESELLSCHAFT
: Trainertagung aus familiären Anlässen

Der stetig wiederkehrende Albtraum in den Karrieren von Lehrerinnen und Lehrern: Elternabende

Den allerübelsten Abend aller üblen Abende im Alltag einer Lehrerin darf ich streng genommen gar nicht besuchen. Kinder sollen schon sein. Die Stunde rückt nah, 8 Uhr abends, die Lehrerin begrüßt: „Wir wollen heute über die Lust am Lernen sprechen und wie Sie Ihren Kindern diese Lust bereiten können.“ Vorhin, bei der letzten Zigarette „vor der Löwennummer“, sagte sie noch, dass doch „echt einige längst keinen Bock mehr haben und nur wegen der Eltern aufs Gymnasium gehen müssen“.

Jetzt sagt sie: „Wir wollen erst mal gemeinsam tief atmen und genießen, wie schön das Leben sein kann. Das überträgt sich auf Ihre Kinder ja auch.“ 18 Elternteile, bei denen das weibliche Geschlecht kaum überwog, waren gekommen, zwei scharren bei der Anregung zum Atmen leicht genervt mit den Füßen. Dann entertainte meine Bekannte weiter: „Ich weiß, dass heute ein Abend ist, der manchen Vätern …“ – „Ist Barca heute Abend, also machen Sie schon hin“, ergänzte eine Mutter mit leicht gereiztem Unterton. Der sich noch auswuchs in dieser höheren Lehranstalt mitten im multikulturellen Musterkiez, Berlins-Schöneberg, der guten Schulen wegen, an den Ecken Deliläden, Wollstuben und nirgendwo Filterkaffee, sondern Caffè Latte und Panacotta statt gemischtem Eis zum Dessert.

Die Lehrerin jedenfalls hat einen mühseligen Job. Soll die Eltern präparieren für die Wechselfälle des Lebens, dass es also auch mal schlechte Zensuren gibt. Sie sagt: „Die Noten sind nicht alles. Und Albert Einstein war auch schlecht in Mathematik.“ Das hätte sie nicht erwähnen dürfen. Sagt einer von der hinteren Bank, der möglicherweise nur schwer verkraftet, dass er auf dem gleichen Gestühl hockt wie sein Kind – denn es macht ihn quasi erdhockend: „Ich möchte mit Ihnen unter vier Augen über meine Tochter sprechen. Ihre letzte Klausur haben Sie ‚ungenügend‘ korrigiert.“ Dieses Wörtchen, „ungenügend“, keucht er fast hinaus, wie einen unerhörten Fluch … Die Lehrerin will beschwichtigen: „Dafür gibt es bestimmt Gelegen…“, aber sie kann den Satz nicht beenden, denn von der linken Seite grätscht dem Vater eine Mutter in die Flanke, als sie kundtut: „Ich kenne Ihre Tochter. Die schreibt nur ab. Von meiner.“

Das Prinzip des Abends klärt sich: Es ist kein Elternabend, sondern eine Trainertagung. Sagen wir, der Bundesligacoachs, die sich viermal im Jahr vor Jürgen Klinsmann wiederfinden und sich beschweren, dass irgendeine Lusche von Spieler sich nicht in seinem Kader wiederfindet.

Eltern? Trainer, Übungsleiter des Lebens? Wahrscheinlich sehen sie sich so. Hier aber scheinen giftige Hyänen am Werk – was auch am dritten Statement kenntlich wird. Da sagt nämlich eine Mutter: „Welche Noten Sie auch immer geben – ich werde sie von meinem Anwalt prüfen lassen.“ Die Lehrerin, leicht feucht auf der Stirn und etwas zittrig im Tremolo, was aber nur Freunde genau im Ohr haben, erwidert matt: „Wir sollten an unsere Kinder denken, dass sie nicht so früh rivalisieren.“

Auch das war taktlos, wie ja fast alles, was sie so sagt. Kann sie ahnen, dass die vor ihr Sitzenden Lernmaschinen repräsentieren? Klagt schließlich ein Vater („Wir haben es geschafft, aus Neukölln wegzuziehen“): „Sie sind viel zu weich. Mein Sohn erzählt, es würde nichts machen, mal eine schlechte Klausur zu schreiben.“

Nun hat meine Bekannte resigniert, aber ein Teuflisches in ihr befiehlt, das Forum nun selbstbestimmt aufzumischen: „Wenn Sie weiter nur Klagen haben und drohen, dann schlage ich vor, diese Klasse in eine Gesamtschule zu integrieren …“

Die Botschaft hing atmosphärisch wie ein fieses Wölkchen noch in der Luft, da konnte ich sie im ausbrechenden Tumult nur noch beschützen wollen. Zu spät. Begraben war sie von entgleisten Eltern, bildungsambitionierten Hooligans gleich, die sich über einen wehrlosen, blöden Trainer hermachen, solchen, für die eine Mutter schließlich dekretierte: „Sie haben wohl nicht begriffen: Wir wollen für unsere Kinder nur das Beste, nicht das Gleiche.“

Sprach’s und ließ uns zurück. Barca gegen Milan, auch so ein Ernst des Lebens, hatte gerade erst angefangen.

Fragen zum Elternabend? kolumne@taz.de Morgen: Philipp Maußhardt über KLATSCH