Die Verführung von Catherine

AMOUR FOU Dass er mit erotischen Obsessionen und verdrängten Erinnerungen umgehen kann, hat Atom Egoyan oft bewiesen. Auch in „Chloe“ lässt er die Begierde wachsen

Über die von Chloe erkauften Geschichten will Catherine dem Betrug ihres Mannes auf die Spur kommen

VON CLAUDIA LENSSEN

Catherine lauscht den Geschichten der jungen Chloe mit offenen Lippen. Die rotblonde, scheinbar alterslose Julianne Moore beherrscht dieses Zeichen der Erregung damenhaft perfekt. Die wilden Sommersprossen sind durch einen Look wächserner Eleganz überpudert, der Blick flattert, die Zähne blitzen. Empfindsam, zerbrechlich und aggressiv zugleich spielt die in Melodramen wie in Thrillern erprobte Schauspielerin eine der beiden Hauptrollen in Atom Egoyans neuem Film „Chloe“, der Geschichte einer Amour fou.

Die Ärztin Catherine aus dem Wohlstandsmilieu von Toronto hat mit Chloe (Amanda Seyfried), einer puppenzarten Blondine, Kontakt aufgenommen und ihr den Auftrag erteilt, ihren Ehemann David (Liam Neeson) auf seine Verführbarkeit zu testen. Catherines Liebe zu David wird von Misstrauen überschattet, seit der Universitätsprofessor die Überraschungsparty zu seinem fünfzigsten Geburtstag verpasst und stattdessen womöglich die Nacht mit einer Studentin verbracht hat. Chloe, Callgirl mit halb studentischem Habitus, soll den Beweis liefern für die kränkende Bevorzugung jüngerer Sexpartnerinnen.

Der kanadisch-armenische Regisseur Atom Egoyan hat mit „Chloe“ zum ersten Mal ein fremdes Drehbuch verfilmt, dessen Sujet an die faszinierende Wucht seiner Filme anschließt. Wie in „Exotica“, „Das süße Jenseits“ oder „Wahre Lügen“ sind die erotischen Obsessionen seiner Figuren oft mit abgespaltenen Erinnerungen verschränkt, kehrt das Verdrängte in Begegnungen zwischen den Generationen wieder, erzeugt das Spiel der Spiegelungen eine tranceartige Atmosphäre. Wie das Geschichtenerzählen die Gefühle auflädt, wie sich Lügen in neue Wahrheiten und vice versa wandeln, ist Atom Egoyans Lebensthema.

„Cloe“, ein Stoff der kanadischen Autorin Erin Cressida Wilson, wurde schon einmal unter dem Titel „Nathalie“ mit Fanny Ardant, Emmanuelle Béart und Gérard Depardieu verfilmt. Stärker als in der französischen Adaption von Anne Fontaine gewinnen die Fallstricke der Handy- und Facebook-Kommunikation bei Egoyan Gewicht. Die Rendezvous der Hauptakteurinnen verlegte er aus den intimen alten Hotels in die Cafés und Restaurants von Torontos schick restaurierter Downtown-Area.

Begehren blockiert

Das Ambiente von „Cloe“ mag zu slick geraten sein, doch die luxuriöse Ausstattung, die glänzenden Oberflächen funktionieren als Metaphern. So leben Catherine und David ihr routiniertes Eheleben zusammen mit ihrem Sohn in einem jener schicken Glas- und Betoneigenheime, die die Illusion fließender Übergänge von innen und außen versprechen und gerade deshalb als eingängige Bilder der Kälte und Entfremdung herhalten.

Konfrontiert mit ihrem blockierten Begehren und der Sprachlosigkeit, wählt Catherine einen Umweg, der den literarisch-philosophischen Diskurs über die Prostitution prägt und üblicherweise Männern zugeschrieben wird: Über die von Chloe erkauften Geschichten will sie dem Betrug ihres Mannes auf die Spur kommen, unbewusst – Julianne Moores Ambivalenz macht das deutlich – voyeuristisch an seiner Sexualität teilhaben, ihn vielleicht zurückgewinnen.

Liam Neeson hat die Rolle des Katalysators zwischen dem fatalen Frauenpaar des Films. Für Catherine, den Inbegriff einer tugendhaften White-Anglo-Saxon-Frau, Mutter, Ärztin und Gesellschaftsdame, läuft die Beziehung zu dem unbehausten, scheinbar geschichtslosen Mädchen aus dem Ruder. Die immer raffinierter erzählende, scheinbar so coole Sexarbeiterin bleibt in Egoyans Suspense-Dramaturgie ein Rätselwesen. Ein Kamm, kostbarer kleiner Fetisch, bleibt ein loser Hinweis auf ihre verborgene Identität.

So setzt ein komplexes Spiel der wechselseitigen Begehrlichkeiten, Täuschungen und Verstrickungen ein. Chloe treibt Catherines Grenzüberschreitung weiter, indem sie alles daransetzt, ihre Auftraggeberin zu verführen. Sie provoziert deren Schuldgefühle, indem sie sich nicht länger willfährig benutzen lässt. Amanda Seyfrieds Filmfigur mutiert in „Chloe“ mit einer graziösen Härte vom dienstbaren Objekt der Begierde zur durchtriebenen Stalkerin.

■ „Chloe“. Regie: Atom Egoyan. Mit Julianne Moore, Amanda Seyfried, Liam Neeson u. a. USA/Kanada/Frankreich 2009, 96 Min.