piwik no script img

Archiv-Artikel

Eklat um NS-Gedenken in Niederösterreich

Der Bürgermeister des Orts Hadersdorf am Kamp lässt Mahnmal abreißen. Die Feuerwehrjugend assistiert

WIEN taz ■ Nachtübungen der freiwilligen Feuerwehren in Österreichs Gemeinden sind seltene Veranstaltungen. Entsprechend gespenstisch war der Einsatz, zu dem die Feuerwehrjugend im niederösterreichischen Hadersdorf am Kamp am 7. April abkommandiert wurde. Sie musste die mit Kreide auf die Straße geschriebenen Namen von 61 NS-Opfern wegspülen. Eine Gedenkfeier für die 1945 massakrierten politischen Häftlinge hatte den Bürgermeister erzürnt.

Der Krieg war praktisch zu Ende. Der Leiter der Männerstrafanstalt in Stein an der Donau ordnete die Entlassung der „Politischen“ an. Die meisten setzten sich zu Fuß Richtung Wien in Bewegung. Eine Gruppe kam durch Hadersdorf, rund 60 Kilometer vor Wien und fragte nach dem kürzesten Weg. Der örtliche NSDAP-Chef ließ sie festsetzen und nach Rücksprache mit der Kreisleitung am folgenden Tag ihr eigenes Massengrab ausheben. Dann wurden die Männer von der SS-Einheit 61 erschossen. Ein Jahr später wurden die Leichen exhumiert, nur 22 konnten identifiziert werden – darunter vier Kroaten, drei Griechen und ein Tscheche. Die übrigen bestattete man auf dem Wiener Zentralfriedhof, wo eine Gedenkplakette an das Massaker erinnert.

Keinen Gedenkstein gibt es am Tatort in Hadersdorf. 1995 musste im Zuge der landesweiten Gedenkfeiern an das Kriegsende eine Plakette angebracht werden, die aber weder die Opfer, noch die Täter benennt. Jahrzehntelang wurde das Verbrechen totgeschwiegen obwohl inzwischen mehrere Diplomarbeiten den Schleier des Vergessens wegzuziehen versuchten. Auch Angehörige und Nachfahren der Täter wohnen noch im Ort.

Letztes Jahr gründeten Angehörige der Opfer einen Verein „Gedenkstätte – Hadersdorf am Kamp“. Sein Ansinnen, ein Monument zur Erinnerung an die Ermordeten zu errichten, stieß aber bei Bürgermeister Bernd Toms, ÖVP, auf taube Ohren.

Erst zum 61. Jahrestag des Verbrechens Anfang dieses Monats versammelten sich rund 70 Menschen, um der Opfer zu gedenken. Sie errichteten ein provisorisches Denkmal. Dieses wurde kurz nach der Feier auf Geheiß von Bürgermeister Toms demontiert. Von einer Bande von „Kommunisten“ wolle er sich nichts gefallen lassen. Die Namen der Opfer, die auf das Straßenpflaster geschrieben waren, ließ er von der Feuerwehrjugend wegspritzen. Sein Argument: Die Palmsonntagsprozession sollte nicht mit unliebsamen Erinnerungen behelligt werden. Obwohl sich viele fragten, warum niemand aus der ÖVP-Führung den Bürgermeister zur Ordnung rief, blieben Stellungnahmen aus der großen Regierungspartei so rar wie vage. RALF LEONHARD