: Wahlkampfauftakt geriet zur Gewaltorgie
In Itzehoe stehen NPD-Politiker und -Aktivisten vor Gericht: Fernsehteams haben mitgefilmt, wie sie eine wehrlose linke Demonstrantin zusammenschlugen. Dennoch wollen die Rechten die „Chaoten“ nur „dingfest“ gemacht haben
ITZEHOE taz ■ Die Beweislast ist schon vor Prozesseröffnung erdrückend. Das Opfer erkennt Täter, und Fernsehteams nahmen den Tatverlauf auf.
Seit gestern müssen sich vor dem Amtsgericht Itzehoe der NPD-Landesvorsitzende Mecklenburg-Vorpommerns, Stefan Köster, der NPD-Landesvize Schleswig-Holsteins, Ingo Stawitz, und die NPD-Aktivisten Mario Indorf und Pierre Lorenzen wegen „Verdacht der Körperverletzung“ verantworten. Die Staatsanwaltschaft wirft ihnen vor, bei einer NPD-Wahlveranstaltung im Dezember 2004 auf Nicole S. eingeschlagen und -getreten zu haben. „Ich dachte: Jetzt schlagen die mich tot“, sagte Nicole S. zur taz.
Kaum eröffnet, muss die Richterin Lysann Schüller die Verhandlung jedoch gleich für länger unterbrechen. Stawitz’ und Kösters Verteidiger, die bekannten Neonazianwälte Jürgen Rieger und Wolfgang Nahrath, wollen vor allem unterbinden, dass Journalisten fotografieren. Mit Anträgen verzögert Rieger gerne Verfahren.
Wenig kämpferisch gibt sich später Pierre Lorenzen. Vor Gericht gesteht er, eine Demonstrantin angegriffen und verletzt zu haben. Seine mutmaßlichen Komplizen will er aber nicht wiedererkennen: „Die sehen doch alle gleich aus mit ihren Glatzen“, meint der 23-Jährige, der seit Jahren einen normalen Herrenschnitt trägt. Er habe allein aus „Notwehr“ gegen die „Chaoten“ gehandelt, und einen Vermummten habe er nur bis zum Eintreffen der Polizei „dingfest“ machen wollen.
Auch Köster und Indorf fühlen sich unschuldig. Die Aufnahmen von „Panorama“ und „Schleswig-Holstein-Magazin“ zeigen einen anderen Tatverlauf. Nicole S. kann sich trotz des massiven Angriffs auch noch genau erinnern. „Köster war von Anfang an dabei, als ich zu Boden gerissen wurde“, betont die junge Frau gegenüber der taz und erklärt: „Stawitz kam später, als ich schon zusammengetreten war. Der hat den Moment genutzt, einfach auch noch reinzuhauen.“
Keine halbe Stunde Autofahrt von dem Amtsgericht Itzehoe entfernt, war es am 4. Dezember 2004 bei einem Hotel in Steinburg zu den Gewalttätigkeiten gekommen. An die 70 Linke wollten gegen den Wahlkampfauftakt der schleswig-holsteinischen NPD protestieren. Von der gegenüberliegenden Straßenseite warfen einige Demonstranten Steine auf das Hotel. „Alle kräftigen Männer raus“, rief sofort Klaus Baier, NPD-Bundespressesprecher, in den Saal des Hotels (die taz war vor Ort).
Mit Flaschen und Stühlen zum Schlagen und mit Tischen und Tabletts zum Verteidigen stürmten die Neonazis auf die Straße und griffen an. Die drei Zivilbeamten vor Ort konnten eine Massenschlägerei nicht verhindern. Als ein Rechter einen am Boden liegenden Demonstranten mit einem Stuhl angriff, gab ein Zivilbeamter zwei Warnschüsse ab. Erst die später eintreffende Polizeiverstärkung trennte die beiden Parteien.
Schon damals behauptete Stawitz, er habe nur Angreifer festsetzen wollen. Ganz auf Parteilinie: Denn nach den Auseinandersetzungen wetterte NPD-Bundeschef Udo Voigt unter dem Applaus der 120 Besucher: „Wir haben ein Recht auf Selbstverteidigung, wir schlagen zurück.“ Dass der Übergriff „quasi eine vorweggenommene Festnahme“ gewesen sei, bestritt Polizeinsatzleiter Uwe Kleinig sogleich in „Panorama“ und hob hervor: Die Gewalt der Rechten war „deutlich stärker“.
Ein fünfter Rechter war bereits im Herbst vergangenen Jahres wegen weiterer Taten in Steinburg erstinstanzlich zu zehn Monaten Haft verurteilt worden. Die neuen Urteile werden nach drei weiteren Verhandlungstagen erwartet.
ANDREAS SPEIT