POLYMORPHES SOUNDDESIGN VON GERÄUSCHINGENIEUREN IM BERGHAIN UND POST AUS DER EXSTADT IN SACHEN ZWEITWOHNUNGSSTEUER
: Ein bisschen Techno, ein bisschen House

VON RENÉ HAMANN

Da waren wir also mal wieder, in der Kathedrale des Digitalen. Ein ehrfurchtgebietendes altes Fabrikgebäude, das mir persönlich jedenfalls jeden Gedanken an Drogen gleich austreibt – spukhaft, dunkel, beklemmend und mit dieser sozialen Note der Überdistinktion versehen, die ich mir vielleicht aber auch nur einbilde, überdistinktiv ist es hier ja sowieso schon. Die Tür ist rüde, die Gäste sind im Dämmerlicht kaum auszumachen.

Am Freitagabend gab es ein konzertantes Vorprogramm zur üblichen Feierwut. „Polymorphism Nummer Acht“ nannte sich der Abend, und die meisten waren wegen Oneohtrix Point Never da, dem New Yorker Geräuschingenieur Daniel Lopatin, der schon als Zweiter randurfte und die ehrwürdigen Hallen mit seltsam verschnittenen Soundscapes bei paralleler Videoperformance versorgte. Etwas viel Kunst war das, gerade die Videobilder erinnerten mich sehr an das kürzlich in Lissabon besuchte vegetarische Restaurant, auf dessen Wandbildschirm myzen.tv lief, ein esoterischer Wellness-Sender mit Wohlfühllandschaftsbildstrecken und Massageclips, die aussahen wie Softpornos mit bekleideten Menschen.

Aber der Verweis kommt nicht von ungefähr – Lopatin verschneidet gern den Sound- wie Bildmüll der digitalen Welt mit ordentlichen Subbässen. Aber immer, wenn man sich gerade auf irgendetwas mental eingegroovt hatte, folgte der nächste, meist holpernde Break in den nächsten fordernden Cut. Zwischendurch durfte man sich über Saxofon-Passagen oder eine Kirmesorgel wundern. Nur unsere Kleidung sah aus wie immer.

Die folgenden Acts – Menschen hinter Koffern, die fleißig Knöpfe und Pedale bedienten – setzten eher auf das Übliche, kamen aber wegen Heimspiel oder konformistisch aufgelegtem Feiervolk besser an. Ein bisschen Techno, ein bisschen House, die Französin Stellar Om Source, die uns am besten gefiel, spielte auch mal ein wenig Funk ein.

Als wir gingen, hatten sich vor dem Berghain wieder die üblichen Schlangen gebildet. Ein Getränkehändler ließ Billigtechno aus der Dose laufen. Wir stellten uns vor, dass er diese Musik eigentlich hasste und nur aus ortsbedingten Geschäftsgründen laufen ließ, um sich dann zu Hause die Ohren mit ordentlich Grindcore auszuspülen.

Am nächsten Tag schob ich kurz einen Kinderwagen durch die Straße. Der junge Vater und ich malten uns dann die nächsten Erfindungen aus. Es sollte Kinderwagen mit kleinen Motoren geben, mit Fernsteuerung oder Roboter-Radar, sodass man vom Café aus den Wagen mal so auf eine Runde schicken könnte. Oder man erfindet Laufbänder mit Videotapeten und Huckelgeraden, die diverse Landschaften simulieren, je nach Knatschigkeitsfaktor. Kinderwagen draufgesetzt und Ruhe ist.

Aber auch unangenehme Themen zogen durchs Wochenende. So hatte ich abermals mit Post aus meiner Exstadt zu kämpfen. Die möchte, dass ich die Hausverwaltung ausfindig mache, bei der ich vor über zehn Jahren einmal ausgezogen bin, sonst heißt es Steuerzahlung. Zweitwohnungssteuer nennt sich dieses bürokratische Drangsalierungsmittel, von dem ich lange nichts ahnte, während ich es in meinen ersten Berliner Jahren nachlässig versäumte, mich in der Stadt Köln abzumelden. Aus alter Verbundenheit wahrscheinlich.

Aber alte Verbundenheit kann teuer werden. (Köln, meine tief enttäuschte Liebe.)

Ein befreundetes Paar hat hingegen mit einer überhöhten Stromrechnung aufgrund eines gefräßigen Durchlauferhitzers zu kämpfen. Da muss der Winterurlaub wahrscheinlich ausfallen. Positiv: Ein anderes Paar macht genau das – Winterurlaub. Im November. An den Strand von Tel Aviv. Wo es noch warm genug ist. Während hier die Energiewende kommt und damit „der teuerste Winter der Geschichte“, wie jedenfalls die B.Z. bereits weiß.