: Schlechte Zeiten für direkte Demokratie
Zahl der Volksbegehren in den Ländern nimmt ab. Fortschritten in Berlin stehen Rückschritte in Hamburg gegenüber
BERLIN taz ■ Für die direkte Demokratie war 2005 kein gutes Jahr. Nur neunmal versuchten Bürgerinnen und Bürger, ihre Interessen mit Volksbegehren oder Volksentscheid in den Bundesländern durchzusetzen – einmal weniger als noch 2004 und weniger als halb so oft wie im basisdemokratischen Spitzenjahr 1997. Insgesamt zählte der Verein „Mehr Demokratie“ 20 laufende Volksbewegungen. Das waren acht weniger als 2004.
„Mehr Demokratie“ organisiert und berät seit 1988 direktdemokratische Initiativen. Die Mehr-Demokraten Christian Posselt und Michael Efler bemühten sich gestern bei der Vorstellung des Volksbegehrenberichts 2005, auch die Erfolge des vergangenen Jahres herauszustellen – so die laut Efler „sehr, sehr gute und bürgerfreundliche“ neue Regelung für die zwölf Berliner Bezirke. Dort gibt es seit Mitte 2005 eine weit reichende Möglichkeit zur Bürgerbeteiligung, die gern genutzt wird – besonders von der CDU, die die Reform im Vorfeld blockierte. Nun sammelt sie fleißig Unterschriften etwa gegen die taz-Initiative, die Kochstraße in Rudi-Dutschke-Straße umzutaufen.
Eher beunruhigend fand Efler die Entwicklung im direktdemokratischen Spitzenreiterland Hamburg. Hier starten Volksbegehren seit ihrer Einführung 1996 am häufigsten. Doch sind sie auch „Opfer ihres eigenen Erfolgs geworden“, erklärte Efler.
Ergrimmt hat der CDU-Senat unter Ole von Beust die Hürden wieder höher geschraubt. Zwar hat das Hamburger Verfassungsgericht jüngst das Gesetz gekippt, das verbat, Volksabstimmungen am selben Tag wie Wahlen abzuhalten. Erhalten blieb dagegen das Verbot der freien Unterschriftensammlung: Nun darf die Initiativen zur Einleitung eines Volksbegehrens nur noch unterzeichnen, wer es zu den bekannten Öffnungszeiten aufs Amt schafft.
Im Übrigen hat Ole von Beust die Ergebnisse der Begehren entweder ignoriert oder umgedreht. So verkaufte der Senat ungerührt vom gegenteiligen Votum des Souveräns den gigantischen Landesbetrieb Krankenhäuser (LKB) mit 6.300 Betten vor einem Jahr an die Klinikkette Asklepios.
Hamburg, erklärte Efler, sei auch ein gutes Beispiel dafür, dass die seit Anfang der 90er-Jahre boomende Bürgerbeteiligung nicht zu rechtslastigen und diskriminierenden Volksbegehren führe. Initiativen etwa gegen Fixerstuben oder gegen Bauwagenplätze schafften es nicht über die Anfangsstadien hinaus.
Von der Großen Koalition erhoffen sich Posselt und Efler eine Grundgesetzänderung zugunsten von Volksbegehren und -entscheiden im Bund. Sie setzen darauf, dass sich die SPD ihrer Ankündigungen aus rot-grünen Zeiten entsinnt und die Union unter Druck setzt. Am 11. Mai werden im Bundestag Anträge auf Volksbeteiligung im Bund diskutiert – sie kommen von den Oppositionsfraktionen. UWI