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Archiv-Artikel

„Jeder kann zum Mörder werden“

Das Böse steckt in jedem Menschen, sagen die drei niederrheinischen Erfolgsautoren von Krimis

Alle sind sehr höflich zu uns – aus Angst, wir könnten einen Krimi über sie schreiben

INTERVIEW: LUTZ DEBUS

taz: Kleve ist eine beschauliche Kleinstadt. Wieso spielen dort ihre Krimis?

Hiltrud Leenders: Was die Gegend hier ausmacht ist Klüngel, Kaninchenzuchtverein und Kirchenrat. Wunderbare Sachen.

Artur Leenders: In Wirklichkeit werden die niederrheinischen Morde in Krefeld aufgeklärt. Wir haben in unseren Romanen die Mordkommission nach Kleve gelegt. Unser Verleger vermutet, dass die Polizeistruktur bald unseren Büchern angepasst wird, weil wir hier einen Bedarf nachgewiesen haben.

Ist die Gerichtsmedizin in ihren Büchern so wichtig, weil Sie Chirurg sind?

Artur Leenders: Nicht nur. Auch aus Krimis muss man lernen.

Was lerne ich aus Ihren Büchern?

Artur Leenders: Giftmorde.

Sie könnten mich also perfekt entleiben?

Hiltrud Leenders: Ohne Probleme.

Artur Lenders: Wir studierten auch die postmortalen Veränderungen bei Wasserleichen.

Hiltrud Leenders: Uns ist wichtig, authentische Figuren zu haben. Täter, Opfer, Polizisten, jeder mit seiner eigenen Sprache. In einem Buch geht es um Gewalt an Schulen. Wir haben die Dialoge auf Hochdeutsch geschrieben und die Hauptschüler haben sie in ihre Sprache übersetzt.

Artur Leenders: Am Anfang haben wir alle Personen, die in den Geschichten vorkommen, gebaut. Mit einer richtigen Vita, wann die Kinderkrankheiten hatten, wann die zur Schule gegangen sind. Als wir alle Personen fertig hatten, fanden wir es langweilig. Wir haben diese Figur erschaffen. Josef Ackermann kennt am nördlichen Niederrhein jeden, und zwar persönlich. Hiltrud hat Ackermanns eigene Sprache erfunden. Der redet diese Mischsprache.

Hiltrud Leenders: Die Sprache am Niederrhein folgt ja einer eigenen Grammatik. Verona Pooths „Hier werden Sie geholfen“ ist hier völlig korrekt. Das ist niederfränkisch, der Dialekt dieser Gegend.

Artur Leenders: Über Ackermanns Sprache gibt es inzwischen sogar Sekundärliteratur. Ein Linguist an der Uni Bonn hat festgestellt, dass wir alle verschiedene Sprachebenen haben. Wenn man Nähe erzeugen will, begibt man sich auf die Sprachebene des Gegenübers. Es gibt in NRW nur zwei Leute, die immer gleich sprechen, egal, wen sie vor der Nase haben. Das ist Rainer Calmund und Josef Ackermann.

Wie kann man eigentlich zu dritt Krimis schreiben?

Hiltrud Leenders: Wir setzen uns jeden Dienstag zusammen und bauen den Plot, die Figuren und dann gehen die Recherchen los. Anschließend fang ich an zu schreiben, ein Kapitel pro Woche. Es dauert ziemlich genau neun Monate, ein Buch fertig zu stellen.

Die Frau schreibt, die Männer spinnen?

Hiltrud Leenders: Ich spinne auch.

Artur Leenders: Ich mache den ganzen naturwissenschaftlichen Teil und Michael baut die Figuren. Die müssen ja stimmig sein.

Hiltrud Leenders: Wir haben ja mal einen Pfarrer während der Messe umgebracht. Da mussten wir das ganze auch aus seiner Sicht schildern, mussten wissen, was ein Pfarrer während der Messe denkt.

Michael Bay: Ich habe einen Pfarrer gefragt, der gerade ein Bauvorhaben hatte. Der sagte: „Ich erwisch mich schon Mal dabei, dass ich in der Predigt denke, wo krieg ich jetzt die billigsten Verblender her.“

Herr Leenders, Herr Bay, Sie sind bekennende Grüne, Stadträte, Fraktionsvorsitzende, Kreisvorsitzende. Schreibt das Trio Kriminale grüne Krimis?

Hiltrud Leenders: Wir sind nicht fundamentalistisch, behandeln aber in unseren Büchern immer ein wichtiges gesellschaftliches Thema. Und zu dem Thema haben wir dann auch einen persönlichen Bezug. Unsere Generation hat beispielsweise den Schnellen Brüter verhindert.

Artur Leenders: Das stimmt nicht so ganz. Meist waren es die älteren Brüder, die sich `ne blutige Schnauze geholt haben und wir haben uns darüber gefreut, dass es so gute Musik gibt und so schöne Mädchen. Wir sind hinterhergelaufen.

Spielt auch Lokalpolitik in den Krimis eine Rolle?

Artur Leenders: Als wir in den Rat gegangen sind, waren alle sehr höflich zu uns: alle waren überzeugt, wir schreiben einen Krimi drüber. Und weil die so ausgesprochen nett zu uns waren, haben wir auch gar nicht dementiert.

Kann man als Krimiautor politisch etwas bewegen?

Hiltrud Leenders: Wir haben in Kleve einen Jüdischen Friedhof, der war eine Katastrophe. Umgekippte Grabsteine, völlig verunkrautet. Das haben wir in dem Buch so beschrieben. Keine sechs Wochen nach Erscheinen des Buches war der Friedhof aufgeräumt. Auf dem ehemaligen Grundstück der Synagoge war jahrzehntelang ein Parkplatz. Nirgendwo ein Gedenkstein. Nix. Zu dem 50. Jahrestag der Pogromnacht wurde da Rollrasen drüber gelegt. Und als die Veranstaltung beendet war, wurde der Rasen wieder eingerollt. Auch das haben wir in dem Buch beschrieben. Jetzt haben wir an dem Ort eine Gedenkstätte.

Die Grünen freuen sich, so prominente Mitstreiter auf ihrer Seite zu wissen?

Michael Bay: In dem Buch „Eulenspiegel“ haben wir einen grünen Lokalpolitiker die Eier abschneiden lassen. Daraufhin haben wir einen Anruf von einer grünen Freundin aus Bayern gekriegt. Ich sollte doch mal mein Verhältnis zur grünen Partei überprüfen, ob ich nicht PDS-Mitglied werden wolle. Es ging aber gar nicht um Politik. Der Täter hatte sein Auge auf Leute geworfen, die Wasser predigen und Wein trinken.

Wie bei den Grünen?

Michael Bay: Natürlich. Das gibt es überall. Manche Grüne sind mir ja so sympathisch, weil sie nicht auftreten wie die Jungfrau, sondern auch mal genussvoll leben können. Das ist bei anderen Grünen noch immer nicht angekommen. Die gehen in den Puff und wundern sich, dass es da Nutten gibt. Und es gibt eben auch Grüne, die tagsüber als Jungfrau auftreten und nachts im Puff die Attraktion sind. Und genau das hat den Täter empört, so dass er unter einer Installation von Boyes jenen Politiker von seinen Gonaden befreit hat. Das ist doch ne klasse Szene. Ich weiß gar nicht, wie man sich darüber aufregen kann. Wo passen die Eier eines Grünen besser hin als ins Museum?

Herr Bay, Sie arbeiten als Psychologe in der Forensik?

Michael Bay: Seit 23 Jahren. Die Delikte gehen von „Eindringen in ein Stadion ohne Eintrittskarte“ bis hin zu Mord am eigenen Säugling. Alles da. Brandstiftung, Vergewaltigung, gefährliche Körperverletzung, schwere Körperverletzung, Körperverletzung mit Todesfolge, Totschlag.

Wissen die Patienten, dass Sie Krimiautor sind? Denken die, jetzt kommt der Mann, der mich gleich wieder in seine Geschichte hineinschreibt?

Michael Bay: Nein, da können die sich hundertprozentig drauf verlassen, dass ihre Lebensgeschichte nicht auftaucht. So einen holländischen Schlurftorf von Pfleger, den kann man schon mal rein schreiben.

Sie selbst haben nicht gerade den angesehensten Beruf?

Michael Bay: Wenn die Forensikgegner in den Bürgerversammlungen sitzen, ist die erste Frage: „Was ist denn mit den Sextätern?“ Dann frag ich zurück: „Wann hast du dir zum letzten Mal vor dem Pornovideo einen runtergeholt?“ Dann werden die ganz still.

Ich würde auch nichts sagen.

Michael Bay: Eben. Es geht um Sex. Es geht darum, sich aufzugeilen. Und die Patienten bieten da eine wahnsinnige Projektionsfläche. Die Rate der Sexualmorde, inklusive der Sexualmorde an Kindern, war am höchsten in der Blütezeit der Adenauerbürgerlichkeit. Diese Zahl sinkt. Der Anteil an den Schlagzeilen aber steigt.

Was hat das mit dem niederrheinischen Krimi zu tun?

Michael Bay: Eine ganz Menge. Bei uns tritt keiner der Täter als „Der Böse“ auf. Weil das Quatsch ist. Weil auch die Patienten in der Forensik nicht böse sind.

Artur Leenders: Im Unterschied zum Schweigen der Lämmer, wo gesagt wird, der gehört weggesperrt, Maske drüber, totgemacht. Unsere Leute nicht. Wir wollen zeigen, dass jeder Mörder werden kann. Dass der Übergang fließend ist von vor dem Gitter zu hinter dem Gitter.