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Archiv-Artikel

Was sind die Gründe für den Glauben?

RELIGION Warum er kein Christ ist, erklärt Kurt Flasch durch einen Blick in die Geschichte. Er fragt nach den Wahrheitschancen eines ermatteten Christentums, das seinen Glauben nicht mehr vernünftig begründen kann

War das Grab am dritten Tag wirklich leer? Ist Jesus Mensch und Gott zugleich? Wie kann Gott als einheitliche Substanz aus drei Personen bestehen und wurde Maria von einer Jungfrau geboren?

VON ULRICH GUTMAIR

Fast hat die Partei, die das Christliche an erster Stelle im Namen führt, die absolute Mehrheit im Parlament errungen. Im Feuilleton wird der eben aus dem Amt geschiedene Papst als Intellektueller gefeiert und die katholische Liturgie als Form verehrt, die Jahrtausende überdauert hat. Benedikts Nachfolger Franziskus gilt als Hoffnungsträger, weil er Kleinwagen fährt und die katholische Sexualmoral für nicht so wichtig erklärt.

So präsent das Christliche als Distinktionsmerkmal und die Kirche als Institution immer noch sind, so wenig scheint die Frage zu interessieren, wie sich der christliche Glaube mit den Mitteln der Vernunft begründen lässt. Es drängt sich der Verdacht auf, dass das eine das andere bedingt: Identitätsangebote versprechen Zugehörigkeit. Intellektuelle Präzision stört da bloß.

Der Philosoph und Historiker Kurt Flasch spielt gern die Rolle des Störenfrieds. Und er ist alt genug, das mit der gebotenen Heiterkeit zu tun. „Warum ich kein Christ bin“ heißt sein neues Buch. Flasch geht es darin nicht um eine Kritik der sklerotischen Institutionen. Er fragt nach den „Wahrheitschancen“ des europäischen Christentums im 21. Jahrhundert. Seine „ungeheuere Ermattung“ zeigt sich für Flasch darin, dass das wichtigste Charakteristikum dieses Christentums die Weigerung sei, Gründe für den Glauben vorzubringen.

Das war einmal anders. Als die Hoffnungen der Jünger Jesu auf die Wiedererrichtung Israels enttäuscht wurden und auch das Ende der Welt partout nicht kommen wollte, verband sich christliche Theologie mit dem Denken griechischer Philosophen. Über tausend Jahre lang versuchten Christen, ihren Glauben philosophisch zu begründen. Das hat zu höchst problematischen Konstruktionen wie Augustins Erfindung der Erbsünde geführt. Dieses Konzept kontaminierte noch heute das christliche Denken, würde noch jemand daran glauben.

Eine Verfallsgeschichte

Spätestens mit der historisch-kritischen Interpretation der alten Texte wurde die Situation philosophisch so prekär, dass sich „die päpstliche Wahrheitsverwaltung“, wie Flasch die katholische Bibelkommission nennt, am Anfang des 20. Jahrhunderts nur noch mit Dekreten zu wehren wusste, denen selbst Theologen widersprachen, weil sie so unsinnig waren. So bleiben heute alle Fragen offen: War das Grab am dritten Tag wirklich leer? Ist Jesus Mensch und Gott zugleich? Wie kann Gott als einheitliche Substanz aus drei Personen bestehen und wurde Maria von einer Jungfrau geboren?

Moderne theologische Antworten auf die Erfolge empirischer Wissenschaften und kritisch-historischer Forschung versuchten nicht mehr, den Glauben zu begründen. Die einen betonten den Erlebnischarakter „authentischer“ religiöser Erfahrung. Die anderen verstanden die Entscheidung zu glauben nach Kierkegaard dezisionistisch als „Sprung“. Flasch zeichnet diese Verfallsgeschichte nach und argumentiert dabei agnostisch: „Denn ein Atheist traut sich zu, er könne beweisen, dass kein Gott sei. So zuversichtlich bin ich nicht.“

Kurt Flasch wurde 1930 geboren. Er hat viel von hoch gebildeten katholischen Geistlichen gelernt. Das Christsein ist ihm abhandengekommen, als er die Geschichte des christlichen Denkens zu erforschen begann.

Er argumentiert nachvollziehbar, was ihn an den Glaubensbegründungen der vergangenen 2.000 Jahre nicht überzeugt. Dass er dabei „ich“ sagt, ist weder Ausdruck von Eitelkeit noch eines defensiven Relativismus. Die traditionellen Wahrheitskonzepte, ob idealistisch oder und empiristisch, sind zweifelhaft geworden.

Das Ich, das seine Argumente den anderen Ichs plausibel machen muss, wird zum Ort der Erkenntnis von Wahrheit. In den alten Geschichten findet es immerhin poetischen Reichtum. Auch wenn viele der biblischen Texte „durch ihre Stilisierung zur göttlichen Autorität zerschlissen“ sind, ist damit noch nicht alles gesagt. Dass ihm Pasolinis Interpretation des Matthäus-Evangeliums zeigt, was man mit diesem Text noch alles machen kann, spricht für Kurt Flaschs präzisen Blick auf die poetischen Wahrheiten des Christentums. Vielen von uns haben schwule italienische Kommunisten mehr darüber zu erzählen als die Kirchen.

Kurt Flasch: „Warum ich kein Christ bin“. C. H. Beck, München 2013, 280 Seiten, 19,95 Euro