: Endzeitstimmung
PERFORMANCE Ein bildreiches Treffen von Gott, den himmlischen Heerscharen und Meat Loafs Liedern im HAU – in ihrer neuen Produktion erzählen She She Pop mit dem biblischen Schöpfungsmythos zur Hand vom „Ende“
VON BARBARA BEHRENDT
Alles hat ein Ende? Nicht ganz. Ein Tinnitus zum Beispiel, erklären She She Pop zu Beginn ihrer neuen Produktion „Ende“, hat keines. Auch das Universum nicht, die Photosynthese, Scham. In den meisten Anfängen aber ist der Schluss bereits inklusive.
Selbst eine Theaterpremiere markiert einen Abschluss – den der Proben. Und auch in der Schöpfungsgeschichte steckt der Niedergang, wertet man die Auflösung des Chaos, das Eintreten der göttlichen Ordnung als Anfang vom Ende der paradiesischen Zeit. All das und noch viel mehr verbindet das Performance-Kollektiv She She Pop am HAU nun zu einem eklektischen Abend – voll loser Enden.
She She Pop starten mit traditionellen Mitteln: Im Dunkeln treten vier Gestalten auf die Bühne und singen Meat Loafs Rockhymne „Bat Out of Hell“. Im Sekundenwechsel wird es gleißend hell, finster, wieder hell. Die Performerin Mieke Matzke spielt Gott, erklärt sie, und hat gerade den Tag von der Nacht geschieden.
Tausend Dinge, die in den Proben verwendet wurden, liegen verstreut auf der großen schwarzen Welt- oder Plattenscheibe, die die Spielfläche markiert: Gaffa-Tape, Kleiderbügel, Müllsäcke, eine Schaukel, Äpfel, Post-its. Im Verlauf des Abends will Matzke diesen Utensilien ihre eigene Ordnung geben – so wie Gott den Dingen einen Platz und eine Ordnung zuwies.
Nach „Gott“ wird Sebastian Bark als „Adam oder Mensch“ eingeführt, Ilia Papatheodorou als „Eva“ und Lisa Lucassen als die „himmlischen Heerscharen“. Ein so ungewöhnliches wie abgehobenes Setting. Warum aber She She Pop überhaupt auf den biblischen Schöpfungsmythos zurückgreifen, den sie letztlich nur als Folie nutzen, um „Mann“ und „Frau“ und diverse Enden zu präsentieren, bleibt unklar.
Papatheodorou arbeitet sich als Eva an den geschlechtsspezifischen Zuschreibungen ab, die ihr als Frau anhaften. Orangenhaut, falsche Schlange, kommunikativ, Vollweib schreiben die Kollegen mit Kreide auf den oberen Halbkreis der schwarzen Scheibe, der senkrecht in die Luft ragt. Die Performerin spielt jedes Klischee durch, klebt sich Orangenschalen auf die Wangen und bläst sich Monsterbrüste auf, um das „Bild der Frau am eigenen Beispiel zu zerstören“. Bark dagegen inszeniert sein Ende als Adam eher geschlechtsunspezifisch: Er beraubt sich Stück für Stück seiner Bewegungsfreiheit, bis schließlich mit Stock am Rücken, Mikro im Mund, Klebeband auf Augen, Nase, Ohren und Fesseln um die Arme nichts mehr geht – das Ende durch selbst gewählte Handlungsunfähigkeit.
Wer sich ein Mikro in den Mund steckt, der hat sich gegen das Sprechen entschieden – man kann nicht alles haben. Aber was zeigt uns das? Stellt jede Entscheidung wirklich nur eine Fessel dar? Ist sie – einmal zu Ende gedacht – nicht auch neue Möglichkeit?
Neben dem Ende durch Ordnung, durch Selbstbeschränkung und durch Zerstörung der Klischees probt Lucassen als himmlische Heerschar das Ende einer Stimme in ihrem Kopf – der Stimme von Meat Loaf. Alle sieben Songs von dessen „Bat Out of Hell“-Album singt sie über den Abend verteilt, um die Erinnerung durch ihre Stimme zu vertreiben. Das Album klebt in ihr fest, seitdem sie es als Kind mit ihrem Bruder hundertmal angehört hat. Sieben Lieder – das passt zu den sieben Schöpfungstagen und -nächten, die Matzke ausruft und deren Sonnenaufgänge und -untergänge das Stück gliedern.
Nach spätestens vier Zyklen liegt der Fortgang des Abends allerdings derart absehbar vor einem, dass man Gott in den Vorruhestand schicken möchte. Es werden folgen: weitere Fesselungen und Emanzipationsversuche, mehr Meat-Loaf-Songs.
Unrhythmisches Holpern
Nun sind She She Pop viel zu präsente und präzise Performer, als dass man ihnen nicht gern zusähe. Lucassen singt voll und schön, Papatheodorou unterhält als „kommunikative Gastgeberin“ ebenso wie als „blöde Kuh“, Bark fesselt sich ekstatisch und Matzke führt sicher durch die Schöpfungsgeschichte. Doch der Abend holpert nicht nur unrhythmisch zwischen Sprechtheater und bildreicher Performance, er hat auch wenig mitzuteilen, was über ein Philosophieseminar im zweiten Semester hinausreichen würde. Die Kraft eines Abends wie „Testament“, bei dem die Künstlergruppe vor drei Jahren die eigenen Väter auf die Bühne holte, lag vor allem im konkreten, autobiografischen Zugang. Mehr Konkretion, also: mehr Erde, weniger Himmel – das hätte diesem „Ende“ auch gut getan.
■ Aufführungen bis 13. 10., 20 Uhr (So. 17 Uhr, Do./Fr. ausverkauft) im HAU3, Tempelhofer Ufer 10