Authentischer geht es kaum

FILM AUS BOSNIEN-HERZEGOWINA In Danis Tanovic’ Dokumentardrama „Aus dem Leben eines Schrottsammlers“ spielen Laiendarsteller ihr hartes, entbehrungsreiches Leben nach

VON BARBARA SCHWEIZERHOF

Man muss den Bogen der politischen Korrektheit nicht allzu sehr überspannen, um festzustellen, dass das Leben eines Schrottsammlers keineswegs im Zentrum des allgemeinen Interesses steht. Zumindest wenn man unter „Schrott sammeln“ noch das herkömmliche Auflesen von Altmetall versteht und nicht das „Messietum“, das im Gegensatz dazu medial breit beleuchtet wird. Nun gehörte es schon immer zu den nobelsten Aufgaben der Kunst, prekäre Randexistenzen ins gesellschaftliche Bewusstsein zu rücken und den „Erniedrigten und Beleidigten“ dieser Welt Gehör zu verschaffen. Authentizität spielt dabei naturgemäß eine große Rolle. Und so viel sei Danis Tanovic und seinem Film „Aus dem Leben eines Schrottsammlers“ auf jeden Fall zugestanden: Authentischer geht es kaum.

Die Idee zum Film stammt aus einer Zeitungsmeldung, also einem wahren Fall. In Bosnien-Herzegowina war einer Frau nach einer Fehlgeburt die medizinisch notwendige Ausschabung verweigert worden, weil sie nicht versichert war und sie nicht bezahlen konnte. In seiner filmischen Aufarbeitung der Ereignisse steigert Tanovic die „Echtheit“ des Ganzen noch, indem er die tatsächlich Betroffenen vor die Kamera holt und sie selbst das Geschehene nachspielen lässt.

Das funktioniert besser, als es zunächst klingen mag. „Aus dem Leben eines Schrottsammlers“ hat außer dem Einsatz der Handkamera keinerlei Ähnlichkeiten mit den gängigen Doku-Soap-Formaten, in denen Laien dramatische Ereignisse nachstellen. Tanovic’ Regieanweisung an seine Protagonisten lautete ganz offenbar, den Pegel eher „kunstmäßig“ unten zu halten statt aufzudrehen. Die Eheleute Senada Alimanovic und Nazif Mujic liefern hier ein beispielhaftes Exempel unterkühlter Schauspielerei: Selbst in der größten Notlage legen sie keine großen Emotionen an den Tag, sie bleiben stoisch und beherrscht. Es hilft, dass die Kamera sie meist nicht frontal in Szene setzt, sondern ihnen von hinten folgt oder von der Seite aus zuschaut. Trotzdem ist der Film in jedem Moment Inszenierung und nicht Dokumentation: Wenn Nazif bei seiner Arbeit gezeigt wird, besagtem Schrottsammeln, dann sieht man jedem seiner mühevollen Handgriffe gerade wegen ihrer Umständlichkeit an, dass das nicht viel bringen kann. Diese ins Bild eingeschriebene Vergeblichkeit verleiht dem prekären seiner Existenz eine fast romantische Note.

Ähnliches passiert mit Senada, seiner Frau, die vor der Kamera Brot bäckt, die zwei Töchter versorgt und sich schließlich stumm auf die Couch legt. Dass sie Schmerzen hat, dass sie nach all den Ablehnungen zur Behandlung schließlich kaum mehr leben will, artikuliert sie nur in gedämpften Andeutungen. Unweinerlich und uneigennützig bis zum Schluss kommt ihr schließlich etwas Madonnenhaftes zu. Einzig die beiden Töchter Semsa und Sandra verhalten sich vor der Kamera weniger diszipliniert, ihre scheuen Blicke verraten deren Anwesenheit, ihr demonstratives Quengeln und Toben nervt den Zuschauer zwischendurch fast ein wenig zu authentisch.

Wie überhaupt „Aus dem Leben eines Schrottsammlers“ ein gutes Beispiel dafür ist, wie das Argument der Authentizität letztlich von den künstlerischen Entscheidungen ablenkt, die hier getroffen wurden. Das beginnt mit dem poetisierenden Titel, „Aus dem Leben eines Schrottsammlers“, der vage die engagierte Literatur des 19. Jahrhunderts heraufbeschwört. Es setzt sich fort in der gefilmten Jahreszeit, Winter in Bosnien-Herzegowina, mit der Kälte als Gemütlichkeitsbedrohung und dem Schnee als malerischem Element in der verwahrlosten Postindustrielandschaft. Und es kulminiert schließlich in der Setzung, vom Krankenfall einer Frau aus der Sicht des Mannes zu erzählen. Es ist der treusorgende Familienvater und Kriegsveteran, der trotz aller Anstrengungen seine Familie nicht versorgen kann, auf den das Mitgefühl gelenkt wird. Damit soll nicht behauptet werden, dass „Aus dem Leben eines Schrottsammlers“ ein besserer Film wäre, wenn er den Fokus auf die Frau mit der Fehlgeburt gesetzt hätte. Er hätte aber wohl sein Thema anders angehen müssen. Statt „J'accuse“-mäßig die Prekarität des Schrottsammlers in Szene zu setzen, hätte Tanovic sich um die systemische Frage kümmern müssen, wie die organisierte Krankenfürsorge mit jenen umgeht, die keine Beiträge leisten. Das aber ist mehr eine politische Frage als die eines Einzelschicksals.

■ „Aus dem Leben eines Schrottsammlers“. Regie: Danis Tanovic. Mit Senada Alimanovic, Nazif Mujic u. a. Bosnien-Herzegowina 2013, 78 Min.