: Barroso mit „Mörder“-Rufen empfangen
FLÜCHTLINGSPOLITIK Die EU übt doch noch Solidarität mit den Opfern von Lampedusa – wenigstens etwas
BRÜSSEL taz | Erst Schimpf und Schande, dann doch noch ein bisschen Hoffnung: Mit einem Blitzbesuch auf Lampedusa versuchte EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso gestern, die blutigen Scherben in der europäischen Flüchtlingspolitik zu kitten. Doch was als Geste der Solidarität geplant war, geriet zunächst zu einem Spießrutenlauf: „Schande“ und „Mörder“ riefen empörte Inselbewohner und Menschenrechtsaktivisten, als Barroso gemeinsam mit dem italienischen Premier Enrico Letta zu den Särgen der ertrunkenen Flüchtlinge eilte.
„Das ist manchmal das Schicksal der Tapferen“, kommentierte ein Kommissionssprecher per Twitter den Empfang. Dass Barroso mit zu den Architekten der „Festung Europa“ gehört, an deren Ufern vergangene Woche mehr als 300 Flüchtlinge ertrunken waren, sagte er nicht. Aber Barroso hat auch eine andere Seite. Sichtlich gerührt erwies er den Opfern die letzte Ehre. „Da waren Särge von Kindern, von Müttern mit Kindern. Das hat mich tief schockiert, das kann ich unmöglich vergessen“, sagte der Portugiese. „Europa kann nicht einfach wegschauen.“
Dann ließ er Taten folgen: 30 Millionen Euro zusätzlich soll Italien aus EU-Mitteln erhalten, um Flüchtlingen besser helfen zu können. Weitere zwei Millionen will die EU-Grenzschutzagentur Frontex beisteuern. Sie sollen diesmal nicht der Abschreckung, sondern der Rettung von Flüchtlingen dienen.
Letta kündigte ein Staatsbegräbnis für die Opfer der jüngsten Katastrophe an. Er will die Flüchtlingspolitik zur Chefsache machen und beim nächsten EU-Gipfel Ende Oktober auf neue gemeinsame Initiativen drängen. Denn es handele sich nicht um ein italienisches Problem, sondern um ein „europäisches Drama“. Auf deutsche Hilfe dürfen Letta und Barroso dabei nicht hoffen: Am Dienstag hatte Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) Forderungen nach mehr Hilfen abgeblockt. Umso größer ist die Solidarität im Europaparlament. „Die Innenministerkonferenz war eine Schande für die EU“, kritisierte Gabi Zimmer, Chefin der Linksfraktion. Die Lasten müssten gerechter verteilt werden, forderte Birgit Sippel (SPD). „Flucht ist kein Verbrechen, sondern ein Akt der Verzweiflung.“ ERIC BONSE