: Noch keine Anklage gegen Prügelpolizisten
GEWALT Im September schlugen Polizisten bei einer Demo in Berlin zu. Die Justiz ermittelt immer noch
FDP-Politiker Björn Jotzo
BERLIN taz | Mehr als ein halbes Jahr nach der Datenschutz-Demonstration „Freiheit statt Angst“ in Berlin, auf der Polizeibeamte einen Radfahrer krankenhausreif schlugen, hat die Staatsanwaltschaft immer noch keine Anklage erhoben. Dem Anwalt des Opfers, Johannes Eisenberg, zufolge haben die beschuldigten Polizisten sich noch nicht zu den Vorwürfen geäußert und den Staatsanwalt um Aufschub bis Ende Mai gebeten. Mit einer Anklage vor Anfang September „ist nach den bisher gemachten Erfahrungen nicht zu rechnen“, so Eisenberg, der auch die taz als Anwalt vertritt.
Die Staatsanwaltschaft bestätigte den Verfahrensstand: „Die Anwälte der zwei Beschuldigten haben für Ende Mai eine umfangreiche Stellungnahme angekündigt.“ Auch das Verfahren gegen das 37-jährige Opfer, H., wegen „Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte“ laufe noch. Der rechtspolitische Sprecher der Berliner Grünen, Dirk Behrendt, kritisierte die lange Dauer der Ermittlungen: „Das ist unerklärlich, zumal es hier keine besonders schwierige Beweislage gibt.“ Noch dringender sei, dass die Vorwürfe gegen das Opfer des Polizeiübergriffs schnell bearbeitet werden. Dieser sei öffentlich an den Pranger gestellt worden und habe ein Recht auf schnelle Aufklärung.
Wenige Stunden nach der Demonstration am 12. September vergangenen Jahres war ein Video auf mehreren Internetseiten aufgetaucht. Es zeigt, wie H. mit einem Polizisten spricht und sich etwas notiert, von dem Polizisten weggeschickt wird und geht, dann von einem anderen Beamten zurückgezogen und schließlich von einem dritten mehrmals ins Gesicht geschlagen wird. Seinem Anwalt zufolge war er nach den ersten Schlägen bereits bewusstlos, ihm wurden beide Lippen zerrissen und die Haut an mehreren Stellen abgeschürft. Nach Polizeiangaben musste er anschließend im Krankenhaus behandelt werden. Gegen zwei Beamte wurde Strafanzeige wegen gefährlicher Körperverletzung gestellt.
Von der Polizei wurde H. gleichzeitig vorgeworfen, er habe sein Fahrrad blockierend zwischen die Beamten geschoben und sei „durch permanentes Stören“ aufgefallen. Später tauchten jedoch weitere Videos auf, darunter auch die der Polizei, die diese Aussagen eindeutig widerlegen. Berlins Polizeipräsident Dieter Glietsch sieht seitdem von der Behauptung ab, das Opfer sei durch Stören aufgefallen.
Laut Eisenberg hatte der ermittelnde Staatsanwalt bereits Ende September festgestellt, dass „nach vorläufiger Bewertung des zur Verfügung stehenden Videomaterials sich die […] zeugenschaftliche Äußerungen der vor Ort eingesetzten Beamten der 22. Ehu [Einsatzhundertschaft, die Red.] nur schwer mit diesem in Einklang bringen lassen.“ Ein Sprecher der Staatsanwaltschaft wollte den Kommentar weder bestätigen noch dementieren.
Oppositionspolitiker im Abgeordnetenhaus wollen nun das Verfahren in den kommenden Sitzungen des Berliner Innenausschusses sowie des Rechtsausschusses thematisieren. Grünen-Politiker Behrendt sagte, bisher habe es vom Berliner Senat kaum Informationen zu den Ermittlungen gegeben.
Björn Jotzo von der FDP-Fraktion sagte der taz: „Die Vorwürfe werfen ein schwieriges Licht auf die Berliner Polizei. Es ist unabdingbar, dass sie schnell und vollständig aufgeklärt werden und der Polizeipräsident sie öffentlich bewertet.“
LALON SANDER