: Ein neuer Premier für den Irak gewählt
Nach monatelangen Verhandlungen einigen sich die Abgeordneten in Bagdad auf die Besetzung wichtiger Posten. Der neue Regierungschef al-Malki will ein Kabinett der nationalen Einheit bilden und die Milizen in die Sicherheitskräfte integrieren
AUS KAIRO KARIM EL-GAWHARY
Vier Monate nach den Parlamentswahlen im Irak haben sich die Abgeordneten am Wochenende endlich auf einen Ministerpräsidenten und einen Parlamentssprecher geneigt. Der neue Premier Dschawad al-Malki hat nun laut Verfassung 30 Tage Zeit, eine Regierung zu bilden. Gleichzeitig wurde der bisherige Präsident und Kurdenführer Dschalal Talabani in seinem Amt bestätigt.
Die Sitzung der 266 Abgeordneten verlief am Samstag überraschend reibungslos, nachdem sich die verschiedenen konfessionellen und ethnischen Gruppen bereits zuvor in informellen Treffen auf al-Malki als Kompromisskandidat geeinigt hatten. Dies war möglich geworden, nachdem sich der bisherige Amtsinhaber Ibrahim al-Dschaafari, der zuvor von den Schiiten, der stärksten Fraktion, nominiert worden war, freiwillig zurückgezogen hatte. Er war unter den Sunniten und Kurden, aber am Ende auch innerhalb seines schiitischen Bündnisses zu umstritten. Der Schritt dürfte Dschaafari nicht allzu schwer gefallen sein. Al-Malki gilt als sein enger Vertrauter. Beide gehören der schiitischen Dawa-Partei an.
Dass al-Malki dennoch das Vertrauen des Parlaments bekam, hat mehrere Gründe. Er war einer der wenigen schiitischen Oppositionspolitiker, die unter Saddam Husseins Regime nicht im Iran, sondern in Syrien Zuflucht gesucht hatten. Für Sunniten und Kurden, die beide den wachsenden iranischen Einfluss fürchten, eine positive Voraussetzung. Vor allem aber hoffen die sunnitischen und kurdischen Abgeordneten, dass al-Malki durch seine starke Persönlichkeit das schaffen könnte, woran seine Vorgänger gescheitert sind: die ethnischen und konfessionellen Spannungen des Landes zu überwinden.
In seiner ersten Rede kündigte al-Malki an, eine Regierung der nationalen Einheit zu bilden. „Wir werden eine Familie schaffen, die nicht auf ethnischen und konfessionellen Grundlagen basiert“, sagte der Vater von vier Kindern auf seiner ersten Pressekonferenz. Der 55-Jährige kündigte an, die konfessionellen und ethnischen Milizen, die das Land in den letzten Monaten an den Rand eines Bürgerkriegs getrieben haben, in die offiziellen irakischen Sicherheitskräfte zu integrieren.
Versüßt wurde den Sunniten die Entscheidung für al-Malki auch mit der Wahl Mahmud Maschadanis zum Parlamentssprecher. Maschadani gilt als offener Kritiker der US-Invasion 2003 und entspricht damit der Stimmung unter den Sunniten. Auch er rief dazu auf, die konfessionellen Spannungen zu überwinden, allerdings auf recht brutale Weise. „Jede Hand oder Zunge, die die irakische Einheit durch falsche Taten und Provokationen gefährdet, sollte abgeschnitten werden“, forderte er in seiner feurigen Antrittsrede vor dem Parlament. Da wundert es nicht, dass einzelne kurdische Abgeordnete, die häufig mit der Abspaltung der kurdischen Gebiete liebäugeln, die Rede als „alarmierend“ bezeichneten.
Der Führer der schiitischen Fraktion im Parlament, Abdel Aziz Hakim, gab sich vorsichtig optimistisch über die neuen politischen Entwicklungen. „Wir können nicht sagen, dass keine Hindernisse mehr vor uns liegen, aber eine große haben wir jetzt weggeschafft“, erklärte er erleichtert. Auch US-Präsident George W. Bush lobte erwartungsgemäß den Fortschritt bei der Regierungsbildung.
Al-Malki muss nun innerhalb eines Monats seine Kabinettsliste vorlegen, wobei jeder Minister von der Mehrheit des Parlaments abgesegnet werden muss. Besonders delikat dürfte die Besetzung des Innen- und Verteidigungsressorts werden. Unter al-Malkis Vorgänger war das Innenministerium von schiitischen Milizen unterwandert worden, die im Namen der Regierung von dort aus als eine Art Todesschwadronen operiert hatten. Auch um das Ölministerium, das den Reichtum des Landes verwaltet, dürfte es ein Tauziehen geben.
Die Frage ist, ob al-Malki es schaffen wird, die Ministerien mit kompetenten Technokraten zu besetzen, oder ob er weiterhin gezwungen sein wird, die Ministerämter nach konfessionellem und ethischem Machtproporz zu verteilen. Der irakische Politologe Wamid Nathmi bleibt skeptisch und fürchtet, dass Irak auch unter al-Malki eine Regierung bekommen wird, in der die Minister ihre Jobs aufgrund ihrer konfessionellen oder ethnischen Affiliierung zugespielt bekommen. „Zu glauben, dass eine solche Regierung die ethischen und religiösen Spannungen unter Kontrolle bringt“, bezeichnet Nathmi „als Wunschdenken“.