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Archiv-Artikel

Der Anwalt des Teufels

AUS POTSDAMBARBARA BOLLWAHN

Die einen wissen von sich aus, was sie mal werden wollen. Die anderen lassen sich beeinflussen, von Filmen, Büchern, Personen. Bei Matthias Schöneburg, der als Schüler nicht schlecht, aber stinkend faul war, war es ein Onkel. Er konnte ihn nicht besonders leiden. Doch Geschichten konnte der erzählen! Von Gaunern und Ganoven, von großen und kleinen Betrügereien, aus dem Gefängnis und dem Gerichtssaal. Der Onkel war kein Straftäter, sondern einer, der Straftäter verteidigt. Das gefiel Matthias Schöneburg, der mit einem Staats- und Rechtswissenschaftler als Vater mit der Juristerei groß geworden ist. Er wurde Rechtsanwalt wie sein gesprächiger Onkel.

Die Kanzlei von Matthias Schöneburg befindet sich in einer Villa aus orangefarbenen Klinkern, wenige hundert Meter hinter der Glienicker Brücke, die über die Havel hinweg Berlin und Potsdam verbindet und weltweit bekannt geworden ist durch den Austausch von Agenten. Ab kommenden Donnerstag wird Matthias Schöneburg in einem Prozess als Anwalt auftreten, der die Öffentlichkeit ganz anders bewegt als der Kalte Krieg. Der ließ sich immerhin erklären. Aber eine Mutter, die neun ihrer 13 Kinder gleich nach der Geburt getötet und die toten Körper in Blumenkästen auf dem Balkon verscharrt haben soll, ohne dass der Vater, Nachbarn, Freunde, Arbeitskollegen etwas davon mitbekommen haben?

Wenn in drei Tagen vor dem Landgericht Frankfurt (Oder) das bis Ende Mai terminierte Verfahren gegen die 40-jährige Mutter beginnt, das elf Tage dauern soll und bei dem über achtzig Zeugen und acht Sachverständige geladen sind, werden die Zuschauer am Eingang zum Gerichtssaal 007 kontrolliert. Das hat das Landgericht wegen des zu erwartenden großen öffentlichen Interesses angeordnet, „zum Schutz aller Beteiligten“.

Es ist ein Montagabend, 18 Uhr, der Anwalt hat einen langen Tag hinter sich. Gut gelaunt und entspannt sitzt der 51-Jährige in Jeans und Lederjacke und mit einer Pfeife in der Hand hinter seinem Schreibtisch. „Jemanden zu vertreten, der eine Straftat begangen hat, ist nun mal mein Beruf“, sagt er. „Wer Kaugummi geklaut hat, braucht keinen Anwalt.“

Keine Erklärungsversuche

Matthias Schöneburg weiß, dass zwischen der Erwartungshaltung der Öffentlichkeit und seinem Job Welten liegen. Ihn interessieren einzig und allein die juristischen Aspekte eines Verfahrens. Deshalb versucht er sich auch nicht in plumpen Erklärungsversuchen für die Taten seiner Mandantin wie Brandenburgs Innensenator Jörg Schönbohm (CDU) im vergangenen Sommer, als die Reste der Babyleichen auf dem Grundstück der Mutter seiner Mandantin gefunden wurden, wohin die Frau sie gebracht hatte. Innensenator Schönbohm hatte die von der SED-Führung erzwungene Proletarisierung als Ursache für Verwahrlosung und Gewaltbereitschaft bezeichnet und damit einen Sturm der Entrüstung ausgelöst. Andere hatten hohe Arbeitslosigkeit als einen wichtigen Faktor für Vereinsamung und Verwahrlosung in der Gesellschaft angeführt.

Der gewichtige Anwalt lehnt sich in seinem Sessel zurück, schaut durch seine randlose Brille und sagt einen Satz, von dem er weiß, dass er damit schnell auf Unverständnis stoßen kann, und schickt deshalb ein „nicht, dass das in die falsche Kehle kommt“ voraus: „Neun Kinder, das ist unvorstellbar viel und sicher unvorstellbar grausam. Aber wir wissen nicht, was meine Mandantin gemacht hat.“ Während die Presse von der „Monstermutter“ schreibt und sich in Vorverurteilung übt, geht es Schöneburg um die Beantwortung juristische relevanter Fragen: Sind die Kinder tot zur Welt gekommen, und hat die Mutter versucht, die Schwangerschaften zu vertuschen? Hat sie im Zustand verminderter Schuldfähigkeit gehandelt? Hat sie die Kinder gekriegt und nichts gemacht, und sind sie nach einigen Stunden gestorben? Hat sie die Babys aktiv umgebracht? „Gott sei Dank“, sagt Schöneburg, „besteht immer die Unschuldsvermutung.“

Allein die Anklage ist ein erster Etappensieg. Schöneburg hat es geschafft, dass die Staatsanwaltschaft den ursprünglichen Tatvorwurf des achtfachen Mordes und eines Totschlags fallen ließ und seine Mandantin jetzt wegen achtfachen Totschlags angeklagt ist. Der Totschlagsvorwurf, der sich auf einen 1988 lebend geborenen Jungen bezog, hat das Gericht als verjährt bewertet. Nun hofft Schöneburg auf ein „faires Verfahren“ für seine Mandantin und „dass die Kammer sich nicht von dem öffentlichen Druck leiten lassen wird“.

Das Büro des Anwalts ist wie ein offenes Buch, in dem man blättern und einiges über ihn erfahren kann. Die alten Metallschilder an der Wand „Preußisches Notariat“ und „Preußischer Gemeindevorsteher“ stehen für seine Potsdamer Wurzeln. Die vielen Zigarrenkisten, leere, neben dem Bücherregal künden davon, dass er neben Pfeife auch Zigarren raucht. Und die Eishockeyschläger an der Wand hinter seinem Schreibtisch verraten, dass er Eishockey-Fan ist. Der Berliner Eisbären, einer der wenigen Sportclubs aus der DDR, die sich nach der Wende etablieren konnten. Schöneburg ist Besitzer einer Jahreskarte. „Außerdem habe ich meinen Schal und mein Trikot“, erzählt er begeistert, dass die Stimme nach oben schnellt, „und schreie Arschloch zum Schiedsrichter.“ Beim Eishockey schaltet er ab. „Da lasse ich die Sau raus.“ Wieder geht die Stimme nach oben, bis sie fast quiekt. Doch Freizeit hat er ohnehin wenig.

In den vergangenen Jahren ist Schöneburg in vielen spektakulären Prozessen aufgetreten, oft als Pflichtverteidiger. Der bestellte Brandanschlag auf ein Asylbewerberheim in Dolgenbrodt. Der mehrfach verurteilte Sexualstraftäter und einer der meistgesuchten Verbrecher Deutschlands, Frank Schmökel. Der Mord an einem Jugendlichen in dem brandenburgischen Dorf Potzlow, der brutal gequält und in einer Jauchegrube versenkt wurde. Das Martyrium des zweijährigen Pascal aus Strausberg, der monatelang misshandelt wurde. „Wenn die Opfer kleine Kinder sind“, sagt Schöneburg, „dann ist es besonders schwer, das nicht an sich herankommen zu lassen.“ Freimütig bekennt er, dass ihn das mehr belastet als die neun toten Babys in dem jetzigen Verfahren, die zwischen 1988 und 1999 geboren wurden. „Die neun kleinen Kinder sind nicht personifiziert. Man hat kein Bild von ihnen. Sie haben keine Namen, und es sind viele Jahre vergangen.“

Man kann sagen, dass Schöneburg ein gefragter und ein geprügelter Anwalt ist. Gefragt, weil für ihn Mordfälle nun mal die interessantesten Fälle sind. Geprügelt, weil er dadurch zum Verteidiger von „Monstern“ wird. Schöneburg spricht von „gescheiterten Existenzen, die ihren Platz in der Gesellschaft nicht gefunden haben“. Dass er bei solchen Prozessen im Licht der Öffentlichkeit steht, nimmt er nicht ungern in Kauf. „Irgendwo ist man sicher ehrgeizig und freut sich, im Mittelpunkt zu stehen.“ Doch oftmals sei er auch „schnell genervt“. Weil die Suche nach Schlagzeilen im Vordergrund steht und nicht das Verständnis für seine Mandanten.

Gefragt und geprügelt war Schöneburg schon, als er noch nicht als Anwalt gearbeitet hat. Nachdem er Mitte der 80er-Jahre an der Ostberliner Humboldt-Universität sein Jurastudium abgeschlossen hat, war es ein hoffnungsloses Unterfangen, in eines der wenigen Anwaltskollegien der DDR reinzukommen. So landete er in der Rechtsabteilung der Baustoffversorgung in Potsdam und war dort ein gefragter Mann. Weil aber Baustoffe in der Mangelwirtschaft knapp waren, war er zugleich ein geprügelter Mann, weil er nicht alle Nachfragen befriedigen konnte.

Anwalt in eigener Sache

Nach der Wende wurde Schöneburg in der Baustoffversorgung beurlaubt. Aus Rationalisierungsgründen, wie es hieß. Aber er wusste, dass es daran lag, weil er publik gemacht hatte, dass der Direktor einen eigenen Baustoffhandel eröffnen wollte und weil er sich im neu gegründeten Betriebsrat engagierte. Erst wollte er sich gegen diese „Ausgrenzung“ so richtig zur Wehr setzen. Doch dann besann er sich auf seinen ursprünglichen Berufswunsch, kontaktierte einen ehemaligen Kommilitonen in Neuruppin, der eine Kanzlei hatte, ließ sich in die Geheimnisse des Rechtsanwaltsberufs einweihen, und beantragte im Sommer 1990 seine Zulassung.

Bald darauf hatte er seinen ersten Fall. In eigener Sache. Die Baustofffirma hatte ihm gekündigt, und er klagte dagegen. Mit Erfolg. Die Kündigung wurde für nichtig erklärt, Schöneburg hätte wieder in dem Betrieb arbeiten können. „Darauf hatte ich aber keinen Bock“, erzählt er, und wieder geht die Stimme hoch. Stattdessen kündigte er. Und verspielte damit eine Abfindung von 15.000 Mark. Nachdem er einige Zeit in der Kanzlei in Neuruppin als „Wald- und Wiesenanwalt“ gearbeitet hat, eröffnete er seine eigene Kanzlei in Potsdam und widmet sich seitdem nur noch dem Strafrecht. Pro Jahr hat er einen oder zwei spektakuläre Fälle oder Mordverfahren. „Gott sei Dank“, sagt er und klopft auf seinen Schreibtisch.

Wie auch sein Onkel, der ihn zum Anwaltsberuf inspirierte, erzählt Schöneburg mit Begeisterung Geschichten. So wie die von einem „lustigen Verfahren“ eines Spitzenkochs, der immer im Suff kriminell wurde und nach einem Überfall einer Sparkasse seine Schreckschusspistole neben den Gürtel steckte, so dass sie runterfiel und er den verdutzten Sparkassenkunden zurief „Kann doch mal passieren“. Oder die Geschichte von einem Freund, der in Griechenland vor Gericht stand und die griechischen Kollegen ihn zu seiner großen Überraschung agieren ließen, als sei er ein dort zugelassener Anwalt.

Schöneburg ist Anwalt mit Haut und Haaren. Auf seiner Mailbox ist ein Spruch, mit dem er sich sogar zum Anwalt des Teufels macht. Es ist ein Satz aus dem gleichnamigen Thriller, in dem Al Pacino einen Anwalt des Teufels spielt. „Hier ist der Teufel persönlich, wenn ihr nicht in die Hölle wollt, sprecht nach dem Piep.“ Schöneburg gefiel der Film, und er fand den Spruch lustig. Eigentlich wollte er ihn nach kurzer Zeit wieder löschen. Doch als sich Kollegen, „die ihren Beruf von der spießigen Seite betrachten“, darüber beschwerten, änderte er seine Meinung und verlängerte seinen Handypakt mit dem Teufel.