: Verschanzt hinter der vierten Wand
Musik sauber, Kommunikation gestört: Die Sterne bleiben trotz begeistertem Publikum reserviert
Ah ja, so sieht also ein echter Fan aus. Mit erhitztem Kopf auf den Schultern, völlig absorbiert von der Musik, erklimmt er die Bühne, als die Band diese gerade erstmals verlässt. Er rudert wild mit den Armen, dirigiert das Publikum. Ein paar Sekunden lang. Dann entdeckt der Fan neben seinem aufdringlichen Enthusiasmus ein Mikrofon – und brüllt hinein: „Von allen Bands schätz‘ ich doch am meisten – Die Sterne!“ Woraufhin das Publikum natürlich johlt und die Sterne wieder auf die Bühne kommen. Für ein paar Zugaben.
Die Szene wäre vielleicht nicht weiter der Rede wert. Aber man muss wissen, wie das Publikum tickt an diesem kalten Düsseldorfer Samstagabend im Zakk, um zu verstehen, wie reserviert dagegen Die Sterne zu Werke gehen. Das Publikum sind ein paar hundert Menschen, zum Großteil jenseits der 30, die sich vermutlich die ersten Sterne-Platten gekauft haben, als die gerade erschienen, sprich: Anfang der Neunzigerjahre. Damals kam eine ganze Reihe neuer deutscher Musik auf den Markt. Mit den Sternen entwickelte sich die so genannte Hamburger Schule, aus der auch Bands wie Blumfeld oder Tocotronic hervorgegangen sind.
Mehr als zehn Jahre ist das jetzt her. Weshalb für die meisten Anfangdreißiger im Publikum die Musik von damals Jugendmusik sein dürfte, verknüpft mit Erinnerungen an Zeiten, in denen alles noch ein bisschen unbeschwerter war, gedankenloser, hübscher anzusehen. Erinnerungen mithin, die hier nun ebenso gedankenlos gefeiert werden. Arme fliegen aus dem wogenden Menschenmeer in die Luft, Texte werden mitgesungen, die Freundin wird umarmt. Nichts zählt mehr als dieser Moment. Das sieht man nicht, das spürt man.
Und die Sterne? In Gedanken weit weg. Musikalisch ist alles okay, durchaus. Selbst mit dem titelgebenden Stück der aktuellen Platte „Räuber und Gedärm“ kann man sich plötzlich anfreunden, so fabelhaft gespenstisch ist die Live-Version. Freilich sind da auch die ganzen Hits, schöne kleine Popsongs wie „Universal Tellerwäscher“ oder „Was hat dich bloß so ruiniert“ – alles da, na sicher. Aber der direkte Draht zum Publikum fehlt. Spricht man im Theater von der imaginären vierten Wand, die Schauspieler und Zuschauer voneinander trennt, so handelt es sich hier zuweilen um eine Mauer.
Zum Beispiel bei „Wahr ist, was wahr ist“ vom 2002er-Album „Irres Licht“. Die Gitarre surrt noch, als das Publikum anhebt, den Refrain weiter zu singen. Immer weiter und weiter. Ein sanfter, hymnischer Chorus. Sänger Frank Spilker aber prescht geradezu unsanft mit dem nächsten Song in den Gesang. Kurze Irritation. Dann wird das Set artig vollendet.
Nur ein, zwei Mal durchbricht Spilker die Mauer. Zum Beispiel als er ein Mädchen mit Mütze auf die Bühne bittet, die Anfang der Neunzigerjahre statt Sterne-Platten eher noch TKKG-Kassetten gekauft hat. Während die Band spielt, soll sie einen Text vorlesen. Den hält sie nun in Form eines großen Zettels in der Hand. Die Band spielt und spielt. Spilker steht derweil im Hintergrund, trinkt, wartet, sieht aus, als frage er sich, was er eigentlich gerade hier mache. Und die Band spielt und spielt. Und das Mädchen sagt nichts. Bis ihr gewahr wird, was sie auf der Bühne sollte. Nämlich lesen. Was sie endlich auch tut. Momente, in denen man die vierte Wand plötzlich doch zu schätzen weiß. BORIS R. ROSENKRANZ
Die Sterne spielen noch ein Konzert in NRW: am 26. Mai 2006, in Essen, JugendzentrumInfos: 0201-8851137