: Sarrazins Warten auf den Scheck
Berlin fordert Milliarden vom Bund. Morgen verhandelt das Verfassungsgericht über die Klage auf Entschuldungshilfen. Wird die Stadt im Erfolgsfall alle Sorgen los? 13 Fragen – und Antworten
von RICHARD ROTHER
Worauf beruft sich Berlin bei seiner Klage vor dem Bundesverfassungsgericht? Berlin beruft sich auf die Anerkennung einer extremen Haushaltsnotlage, aus der der Stadtstaat es allein nicht mehr schaffen kann. Wird diese Notlage anerkannt, müssten der Bund und die Gemeinschaft der Bundesländer einspringen, um Berlin zu helfen. Freiwillig wollten diese das allerdings nicht tun, weil das teuer würde – deshalb die Klage vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe.
Mit wie viel Geld kann Berlin rechnen? Das kommt auf die finanzwissenschaftlichen Maßstäbe an, die man anlegt. Bei einem positiven Urteil könnte Berlin 15 bis 30 Milliarden Euro hoffen; möglich wäre auch, dass kein Geld fließt, aber der Bund Berliner Schulden übernimmt. Und natürlich kann die Hauptstadt auch ganz leer ausgehen.
Wofür wird das Geld verwendet? Fließt Geld, soll es nur für den Abbau des riesigen Schuldenberges von derzeit mehr als 60 Milliarden Euro genutzt werden. Auch die daraus resultierenden Zinsersparnisse flössen in den Schuldenabbau. Im Moment steckt Berlin wie viele Drittweltstaaten in der Schuldenfalle: Um die laufenden Ausgaben und die aufgelaufenen Zinslasten zu finanzieren, müssen immer neue Schulden aufgenommen werden. Diese erhöhen wiederum die Zinsbelastung der Haushalte. Nutznießer sind vor allem die kreditgebenden Banken.
Wie kam es zur Haushaltsnotlage? Die Berliner Haushaltslage lässt sich nicht ohne einen historischen Rückblick erklären. Die Teilung der Stadt in Ost- und Westberlin veranlasste viele Großunternehmen – etwa Siemens – zum Umzug in die westlichen Bundesländer; Westberlin wurde so von der wirtschaftlichen Entwicklung der Bundesrepublik abgekoppelt, Ostberlin wirtschaftete ohnehin in einem anderen System. Um Westberlin vor Abwanderung und Niedergang zu bewahren, pumpte die Bundesrepublik so genannte Berlinhilfen und -zulagen in die Stadt an der Spree. Diese Förderung wurde zu Beginn der 90er-Jahre abrupt abgebaut, weil allgemein ein boomendes Berlin erwartet wurde. Das Gegenteil trat ein: Die Ostberliner Industrie brach zusammen, auch die Westberliner Industrie erlebte einen beispiellosen Stellenabbau. Die schwache Wirtschaftskraft führt zu einer hohen Arbeitslosigkeit – und damit zu sinkenden Steuereinnahmen und steigenden Sozialausgaben. Die bundesweiten Steuerausfälle der Jahre 2000/2001 im Zuge der rot-grünen Steuerreform belasteten den Berliner Haushalt zusätzlich.
Hat Berlin unter der großen Koalition seine Hausaufgaben gemacht? Kritiker sagen, Berlin hätte seine Ausgaben im öffentlichen Dienst viel früher reduzieren müssen. Zum Beispiel sei die Anhebung der Ostgehälter auf Westniveau Mitte der 90er-Jahre nicht gerechtfertigt gewesen. Allerdings: Zwei Gehaltsniveaus in einer Stadt waren ungerecht, und eine Absenkung der Westgehälter auf Ostniveau hielt die große Koalition für politisch nicht durchsetzbar. Zudem kosten die historisch bedingten Doppelstrukturen zweier Großstädte viel Geld – so hat Berlin immer noch drei Unis, drei Opern, zwei Zoos. Die große Koalition verkaufte wichtige Landesunternehmen wie die Gasag, die Bewag und die Wasserbetriebe. Finanziell wurde damit aber nur kurzfristige Erleichterung geschaffen.
Und was tat der rot-rote Senat seit 2002? Der rot-rote Senat beging mit dem Austritt des Landes Berlins aus den öffentlichen Arbeitgeberverbänden einen Tabubruch. Er zwang damit die Gewerkschaften, Lohnkürzungen von bis zu zwölf Prozent im öffentlichen Dienst zu akzeptieren – der so genannte Solidarpakt.
Wo wurde noch gespart? Das Motto, das der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) ausgab, ist sprichwörtlich geworden: „Sparen, bis es quietscht“. Davon blieb kaum ein Bereich verschont: Kita- und andere Gebühren wurden erhöht; die Ausgaben für soziale, Kultur- und Bildungsprojekte wurden gesenkt. Gestoppt wurde auch die milliardenschwere Förderung des überteuerten öffentlichen Wohnungsbaus. Der rot-rote Senat, der im Gegensatz zu seinen Vorgängern die Karlsruher Klage endlich einreichte, sieht seine Hausaufgaben also als gemacht an.
Wie viel hat Berlin gespart? Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) verweist auf eine bundesweit einmalige Zahl: Seit 1995 habe Berlin als einziges Bundesland seine Ausgaben (ohne Zinsen) um elf Prozent gesenkt.
Was hat der Skandal um die Bankgesellschaft mit dem Karlsruher Verfahren zu tun? Wenig bis nichts. Berlin wäre auch ohne die Zusatzausgaben für die Bankgesellschaft pleite; die Milliarden für die Bank – eine seriöse Schätzung über den tatsächlichen Schaden ist bisher kaum möglich – ließen sich aber sicherlich wesentlich sinnvoller verwenden.
Was bedeuten die Klagen für den bundesdeutschen Föderalismus? Egal wie das Verfahren ausgeht: Künftig wird zwischen den Ländern noch stärker um die Verteilung der Gelder gerungen werden. Die reichen Länder, die zum Teil wie Bayern selbst jahrelang von bundesstaatlichen Hilfen profitierten, sind immer weniger bereit, Geld abzugeben. Eine Angleichung der Lebensverhältnisse, wie vom Gesetzgeber beabsichtigt, rückt somit in weite Ferne.
Wann entscheidet das Gericht? Das Bundesverfassungsgericht könnte sein Urteil noch vor der Sommerpause verkünden. Vielleicht wird aber erst nach der Berliner Wahl zum Abgeordnetenhaus im September verkündet.
Wie wird das Urteil aussehen? Das ist reine Spekulation. Eine konkrete Summe wird das Gericht nicht nennen. Es wird nur Maßstäbe setzen, nach denen Berlin zu behandeln ist – von 0 bis 30 Milliarden Euro ist alles drin. Hat Berlin Geld zu erwarten, würden nach einem Urteil erst schwierige Detailverhandlungen mit den Beteiligten geführt werden müssen. Frühestens dürfte erst 2008 zusätzliches Geld nach Berlin fließen.
Hat das Verfahren Folgen für den rot-roten Senat? Sollte Karlsruhe im Grundsatz für Berlin entscheiden, wäre dies ein Erfolg für den rot-roten Senat – der zweite in diesem Jahr nach dem Ja des Bundesverwaltungsgerichts zum Ausbau des Flughafens Schönefeld. Sollte die Entscheidung vor den Wahlen fallen, hätte sie auch Auswirkungen auf den Wahlkampf: Ein Ja würde den Senat bestätigen, ein Nein würde ihn in Erklärungsnöte bringen.