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Archiv-Artikel

Igitt- und Aua-Worte

Neues vom Dummdeutsch. Ein Einwurf zu einigen Entwicklungen der deutschen Sprache

Geben Sie dem Fremdwort eine Chance. Unterlassen Sie fahrlässige Eindeutschungen

Auf gar wundersame Weise mehren sich die Pretiosen (lat.: Kostbarkeiten) in des Schreibsöldners digitaler (lat.-engl.: Daten und Informationen in Ziffern darstellend) Wortschatztruhe. Begriffe wie „Talkrunde“, „Primetime“ und „Late-Night-Schiene“ gehen längst leicht von der Hand, die über der Tastatur (lat.-vulgär-lat.-it.: größere Anzahl von in bestimmter Weise … angeordneten Tasten) schwebt und flinkfingrig Texte (lat.: Gewebe, Geflecht) wie diesen hier ins Gerät hämmert. Es stockt der Fluss noch bei Wendungen wie „Maximal exposure“, „Post-midnight desk-and-sofa-show“ oder „Crossfertilization“, aber das wird schon.

Greifen wir abgeklärten Zeitgeistkommentatoren (lat.: Verfasser einer kritischen Stellungnahme in Presse, Radio oder Fernsehen …) auf einen dieser dem modernen (lat.-fr.: neuzeitlich) Medien- (Plural von lat.: Mitte) beziehungsweise Schnöselkauderwelsch entnommenen Termini (lat.: Fachausdrücke) zurück und würzen mit ihm unsere kritischen (gr.-lat.-fr.: nach präzisen … Maßstäben prüfend und beurteilend), mitunter recht spitzfindigen, im Einzelfall auch snobistischen (engl.-nlat.: geckenhaft) Auslassungen über die gerade aktuellen (lat.-fr.: im Augenblick gegebenen) Unsäglichkeiten, gelangt zum Zwecke der Distanzierung (lat.: von etwas oder jemandem abrücken) gemeinhin jene zureichend ironisch (gr.-lat.: mit feinem, verdeckten Spott) gefärbte Sentenz (lat.-fr.: einprägsamer, weil kurz und treffend formulierter Ausspruch) zur Anwendung, die da lautet: „… wie man auf Neudeutsch zu sagen pflegt“.

Auf diese Weise erheben wir uns geistig wie auch moralisch (lat.-fr.: sittenstreng, tugendhaft) über dieses juvenile (lat.: jugendlich) Geplapper, das uns aus Fernsehern, Rundfunkgeräten und auf Partys (lat.-fr.- engl.-amerik.: zwangloses Fest, gesellige Feier …) entgegensprudelt und und gern auch aufgeregte Pressemitteilungen rabaukiger Reklamefirmen und anderer Wichtigwedler durchsetzt.

Nicht dass unsereins fremden Idiomen (gr.-lat.-fr.: die einer kleineren Gruppe oder einer sozialen Schicht eigentümliche Sprechweise) nun partout (fr.: durchaus, unbedingt) ablehnend gegenüberstünde. Da sei die Political Correctness vor. Freilich ist auch dieser Bereich gewissen Moden (lat.-fr.: Brauch, Sitte) unterworfen. An Beliebtheit verloren haben beispielsweise die unerfreulich konnotierten (lat.: die Grundbedeutung eines Wortes begleitende, zusätzliche … Vorstellung) oder aber verstaubt klingenden Lehn- und Leihwörter „Hegemonie“, „Doktrin“, „Monopol“ sowie „Imperialismus“. Ihnen gilt unser tief empfundenes Igitt. Deutlich abgefallen in den Fremdwörtercharts sind desgleichen „Dialektik“, „Diskurs“, „Troika“ und „semantischer Relevanznachweis“. Kaum noch gebräuchlich ist „Manchesterkapitalismus“, zumal Manchester heutzutage eher mit fußballerischen Auseinandersetzungen und flotten Tanzweisen assoziiert (lat.-fr.: eine gedankliche Vorstellung mit etwas verknüpfen) wird.

Gern genommen werden nach wie vor die Evergreens „Koalition“, „Struktur“, „Konsens“, „Programm“ und „Autorenfilm“. Zu neuer Aktualität (lat.-fr.: Gegenwartsbezogenheit) gelangt sind „Reform“, „Matrix“ und „Paradigmenwechsel“. Für manche Weltendeuter begann das 21. Jahrhundert überhaupt und generell (lat.; französierende Neubildung: allgemein, allgemeingültig …) erst mit den Paradigmenwechseljahren.

Schamlose Trendhechelei verbirgt sich indes hinter der Verwendung einschlägig vorbelasteten Jargons (fr.: umgangssprachliche Ausdrucksweise … innerhalb einer … sozialen Gruppe) wie „interaktiv“, „kompatibel“, „virtuell“. Als Symptom (gr.: Zufall, vorübergehende Eigentümlichkeit) akuter (lat.: scharf, spitz) Schreibstilkrätze gelten Worte wie „Deregulierung“, „Deform“ und vor allem das schon schmerzhaft blöde „Redekonstruktion“.

Mit diesen gewiss nicht leicht zu dekodierenden (fr.: eine Nachricht entschlüsseln) Worten überlässt Sie der Wahrheit-Wortklauber nun Ihrer weiteren Lektüre (lat.-mlat.-fr.: 1. Lesestoff. 2. das Lesen …), bittet aber noch um eines: Geben Sie dem Fremdwort eine Chance. Unterlassen Sie fahrlässige Eindeutschungen. Übersetzen Sie niemals „not really“ mit „nicht wirklich“ oder „nice“ um jeden Preis mit „nett“. Das ergäbe nämlich unter Umständen veritablen (lat.-fr.: wahrhaft, echt; aufrichtig) Nonsens (lat.-engl.: Unsinn; absurde, unlogische Gedankenverbindung).

HARALD KELLER