: Körnchen des Glücks
HOBBY Harald Zelter sammelt Hanfsamen. Weil die so schön sind, wenn sie im Licht schillern. Manchmal fällt ihm einer ganz aus Versehen auf den Boden
VON HENRICO DÜBEL
Wenn es draußen warm wird, wenn die Vögel zwitschern und die Sonne wieder in bleiche Gesichter scheint, dann beginnt auch für Harald Zelter (Name geändert) die schönste Zeit des Jahres. Zelter holt dann die Kiste mit seiner umfangreichen Sammlung vom Schrank, geht in den Garten, nimmt liebevoll Körnchen um Körnchen aus kleinen, mit Watte gepolsterten Plastikröhrchen und hält sie ins Licht der Frühlingssonne. Blue Moonshine heißen seine Lieblinge, Northern Lights oder Malawi Gold. „Nur um diese Jahreszeit schillern die Samen so schön im Licht“, sagt Zelter, dreht ein Samenkorn vorsichtig zwischen Daumen und Zeigefinger und begutachtet fachmännisch die zarte Maserung des Saatguts. Harald Zelter ist Hanfsamensammler. Er lässt sich seine Leidenschaft etwas kosten. Preise bis zu 10 Euro für einzelne besonders seltene Samen sind keine Seltenheit. Doch Zelter liebt sie, als wären sie seine eigenen Kinder.
Hanfsamensammler sind, anders als Kaninchenzüchter oder Briefmarkenfetischisten, eine weitgehend unbeachtete Gruppe in Deutschland. Das mag mit der geringen Größe der Objekte ihrer Leidenschaft zusammenhängen, vor allem aber mit den Vorurteilen, die ihnen von der deutschen Mehrheitsgesellschaft entgegengebracht werden. Denn Hanfsamensammler gelten als Drogenkonsumenten. „Dabei haben wir mit Kiffen wirklich nichts am Hut“, beteuert Zelter. Ihm und seinen Freunden geht es allein um die Schönheit des Samens. An Anbau oder gar Konsum des Hanfes haben sie keinerlei Interesse. „Das wäre ja auch verboten“, sagt der Sammler. Dennoch ist er ständigen Verdächtigungen ausgesetzt.
Der Verkauf, Erwerb und Besitz von Hanfsamen, die zur Aufzucht potenter, also mit nicht zu geringen Mengen Tetrahydrocannabinol (THC) ausgestatteter Hanfpflanzen benützt werden sollen, ist in Deutschland seit 1998 durch das Betäubungsmittelgesetz verboten. Das Sammeln fällt zwar nicht ausdrücklich unter dieses Verbot, allerdings hat die Gesetzesverschärfung dazu geführt, dass Hanfsamensammler es jetzt schwerer haben, ihre Sammelobjekte zu erwerben. Viele Hanfsamenhändler mussten ihren Betrieb in Deutschland einstellen. Andere europäische Länder sind da deutlich liberaler – also wurde vielfach der Firmensitz ins Ausland verlegt. Zelter bestellt seine Samen seit einigen Jahren bei dem Internet-Versandhandel samenwahl.com mit Sitz in Spanien – einem Anbieter, der sich auf Sammler wie ihn spezialisiert hat. „Samenwahl“ hat sich rechtlich gegen den Missbrauch seiner Ware abgesichert: „Jeder Besteller verpflichtet sich mit Anerkennung unserer AGBs beim Absenden der Bestellung, Hanfsamen nur gesetzeskonform für legale Zwecke (z. B. Sammeln, Tierfutter, Weiterverarbeitung) zu gebrauchen oder weiterzugeben.“ Schwarze Schafe sind hier ausdrücklich unerwünscht. Unmissverständlich ist auf der Internet-Seite des Händlers vermerkt: „Besteller, die Hanfsamen eindeutig zum illegalen Anbau bei uns bestellen, werden unter diesen Umständen nicht von uns beliefert werden.“
Diese Geschäftsbedingungen kann Harald Zelter ohne Gewissensbisse unterschreiben. Nach einer Barüberweisung auf das Samenwahl-Konto dauert es eine Woche, dann liegt ein neutraler Briefumschlag in seinem Kasten: Die neuen Samen sind da. Zur Feier des Ereignisses hat Zelter seine Sammelfreunde eingeladen. Im Laufe der Jahre hat sich ein kleines Ritual herausgebildet: Zu den Klängen von Beethovens Symphonie Nummer sechs schreiten die Hanfsammler in Zelters Garten und halten die Neuankömmlinge ins klare Frühlingslicht, werfen sie voller Freude in die Luft, fangen sie wieder auf, preisen die Samen und den Frühling, jubilieren. Es ist ein lustiges Treiben.
Da kann es auch einmal passieren, dass ein Hanfsamen den Händen der aufmerksamen Sammler entgleitet und zu Boden fällt. Das ist vor allem dann ungünstig, wenn die Samen auf frisch gepflügte Erde fallen – sie sind dann praktisch nicht mehr aufzufinden. Zelter ärgert sich darüber aber nur kurz: „Das gehört dazu. Wer die Samen ans Licht holt, muss damit rechnen, dass der eine oder andere verschwindet.“ Er wirkt erstaunlich entspannt, wenn er das sagt.
Hanf ist eine vergleichsweise robuste Pflanze. Wenn das Samenkorn, zumal eines, das speziell für den Anbau in unseren Breiten gezüchtet ist, auf einen leidlich gedüngten, möglicherweise sonnenverwöhnten Flecken fällt, wenn genügend Regen fällt, aber auch nicht zu viel Regen, dann kann es gut sein, dass hier im Herbst auch ganz ohne Pflege eine prächtige Hanfpflanze steht, bis zu zwei Meter hoch oder noch höher, womöglich weiblichen Geschlechts, intensiv duftend, mit dichten, schweren, THC-getränkten Blütenständen.
Zelter ist so etwas noch nie passiert. Allerdings, so räumt er ein, interessiere er sich ja auch ausschließlich für die Samen des Hanfes. Die ausgewachsene Pflanze sei ihm gar nicht geläufig: „Ich weiß nicht, wie die aussieht“, beteuert Zelter. In seinem Garten würden so viele Pflanzen wachsen, die könne er unmöglich alles auseinanderhalten. Damit das Gestrüpp nicht überhandnimmt, rodet er den Garten im Herbst gründlich.
Wenn die Tage dann kürzer werden, widmet sich Zelter seinem zweiten großen Hobby: dem Trocknen von unbekannten Pflanzen. Er schneidet sie sorgfältig ab, hängt sie in einen dunklen, trockenen Raum, trennt die Blüten vom Gestänge, alles wird sorgfältig aufbewahrt. Aber wozu? Der Hanfsamensammler hat eine interessante Entdeckung gemacht: „Manche der Blüten kann man sogar rauchen.“ Das sei wesentlich schmackhafter als schnöder Tabak. Und stimme ihn heiter und froh – bis der Frühling wieder kommt.