: Die alte Mitte der SPD
Die SPD debattiert über ein neues Programm. Ihr Vorsitzender Kurt Beck ist zwar kein glanzvoller Redner – aber vielleicht ein geeigneter Moderator
Kurt Beck ist kein fesselnder Redner. Er meidet Allgemeinplätze keineswegs, im Gegenteil. Gerade beim Unstrittigen scheint er sich wohl zu fühlen – während ihm bei Streit unbehaglich ist. Wir werden, so Beck gestern in Berlin beim Auftakt der SPD-Programmdebatte, auch „kontrovers diskutierten, wo es sein muss.“ Das klingt nach: lieber nicht.
Zuvor hatte der designierte SPD-Chef mit der zaghaften Andeutung, Steuererhöhungen seien nötig, für Aufregung gesorgt. Steuererhöhungen seien doch „keine Todsünde“, so Beck gestern. Das war kein Rückzug, aber doch der Versuch, die Luft aus dem Thema zu nehmen. Das passt zu seinem Stil: differenzieren, nicht anecken, versöhnen. Es gab viele „aber“ in seiner Rede.
Mit Beck bekommt die Partei einen routinierten Vorsitzenden, der Kontinuitäten schätzt. In seiner Rede zitierte er Kohls Formel von der Wiedervereinigung in „Frieden und Freiheit“ und auch Schröders verbrannten Slogan vom „Fördern und Fordern“, mit dem Rot-Grün die Arbeitslosen traktierte.
Dass die SPD ein neues Grundsatzprogramm braucht, liegt nahe. Das alte stammt von 1989, aus der Zeit vor der Pisa-Studie, der Demografiedebatte, dem Abbau des Sozialstaats, dem Internet, dem 11. 9. 2001, Aufstieg und Fall der New Economy. Nötig ist die Programmdebatte auch als Kitt für die Partei. Das sozialdemokratische Wir ist, nach der Auflösung des proletarisch-kleinbürgerlichen Herkunftsmilieus und Schröders autoritärem Kursschwenk, ziemlich brüchig geworden. Helfen sollen Integrationsfiguren wie Kurt Beck – und die Debatte um Werte.
Beck hat den Programmentwurf von Matthias Platzeck geerbt. Platzeck hatte stets das Neue betont und den luftigen Begriff des „versorgenden Sozialstaats“ ins Zentrum gerückt, der den alten Versorgungssozialstaat ablösen soll. Beck erwähnte den „vorsorgenden Sozialstaat“, aber es klang ziemlich pflichtschuldig. Der neue SPD-Chef ist ziemlich bieder, aber er verkörpert auch etwas sympathisch Altmodisches: Er hat kein Talent zum rhetorischen Bluff. Und medienkompatibel alles mit dem Adjektiv „neu“ zu versehen liegt ihm auch nicht.
Der Programmentwurf, den Beck gestern zusammenfasste, konzentriert sich auf Bildung, Familienpolitik und Europa als Bastion der sozialen Marktwirtschaft. Fest geschrieben wird der Atomausstieg – und auch die Forderung, der Sozialstaat müsse sich künftig mehr über Steuern als über Lohnnebenkosten finanzieren. Neben solch erfreulich konkreten Ideen findet sich offenbar kaum vermeidbares Wortgeklingel. So taucht der Begriff „demokratischer Sozialismus“ in dem Entwurf nur noch als historisches „Gegenmodell zum Staatssozialismus“ auf. Heute sei mit demokratischem Sozialismus gemeint, dass es auch in einer Marktwirtschaft Bereiche gibt, „die der Logik des Marktes entzogen sein sollten“. So gesehen müssen wir uns auch Guido Westerwelle als demokratischen Sozialisten vorstellen.
Das Programm soll im Herbst 2007 verabschiedet werden. Die verunsicherte SPD hat damit die Chance zur Selbstverständigung. Wenn die Debatte nicht bloß darauf zielt, Schröders Agenda 2010 auch noch zum Programm zu adeln und so die Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit zu schließen. Beck ist ein Mann aus der alten Mitte der Sozialdemokratie. Vielleicht eignet er sich, trotz seines diskursfernen Gestus, als Moderator der Debatte.
Überzeugend war der gelernte Elektriker gestern immerhin bei einem Thema: Bildung. Das deutsche Bildungssystem sei sozial nicht durchlässig, Arbeiterkinder hätten zu wenig Aufstiegschancen. „Das“, so Beck, „müssen wir ändern.“ Ohne „aber“.