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Archiv-Artikel

Die Weißbierdusche muss noch warten

VIRTUELLE MEISTERSCHAFT Nach dem 3:1-Sieg gegen den VfL Bochum feiert der FC Bayern München den so gut wie feststehenden Titelgewinn. Allerdings nicht wirklich ausgelassen. Man will schließlich noch „unsterblich“ werden

Bleibt nur noch die Frage aller Fragen: Wer traut sich, Gott zu begießen?

AUS MÜNCHEN THOMAS BECKER

Die Party begann kurz nach halb fünf. Der Ball zirkulierte gerade ausnahmsweise mal eher unspektakulär durchs Bayern-Mittelfeld, als ein Aufschrei durch die Arena ging, als habe Arjen Robben gerade in der 119. Minute per Fallrückzieher das entscheidende 5:4 im Champions-League-Finale gegen Inter Mailand erzielt. Hatte er aber nicht. Es stand 2:0. Gegen Bochum. Die Fans jubelten über einen Treffer, der viele hundert Kilometer entfernt in Gelsenkirchen gefallen war. Das 1:0 von Mesut Özil in der 55. Minute war das schönste Tor, das die Bayern nicht selbst erzielten. Nicht nur für die Fans, auch für die Spieler. Philipp Lahm hatte Bremens 1:0 als „absolutes Gänsehautfeeling“ erlebt.

Eine halbe Stunde später war es amtlich: Schalke hatte verloren, Bayern 3:1 gewonnen und damit vor der letzten Partie drei Punkte und 17 Tore Vorsprung, war also „virtueller Meister“, wie Trainer Louis van Gaal sagte.

Trotzdem feierten die Profis vorsichtig. Torhüter Jörg Butt schickte die Meisterhüpfer in die Südkurve, um sich von den Fans die fünf Buchstaben für das Humba-humba-humba-tätärä abzuholen. Das klappte so mittelmäßig, dass Dreifach-Torschütze Thomas Müller den Zaun enterte: „Der Jörg hat so seine Probleme mit den Fangesängen. Deshalb habe ich das übernommen.“ Martin Demichelis sagte: „Wir haben noch zwei Titel im Kopf, wir sind noch brav.“ Und so verlief der Meisterabend dann auch: brav.

Eine Meisterfeier mit angezogener Handbremse. Doch zumindest ein Korken ist dann doch explodiert in der Bayern-Kabine, nur wer der Feuerwerker war, wurde nicht völlig geklärt. Laut Rummenigge und Diego Contento hatte Bastian Schweinsteiger die Champagner-Jagd auf Trainer und Vorstand eröffnet, was dieser energisch abstritt: „Der van Bommel war’s!“

Wer auch immer es war, er war dem Augenzeugen Holger Badstuber zufolge sehr treffsicher: „Der Trainer hat am meisten abbekommen. Dann ist er weggerannt und hat sich versteckt.“

In aller Öffentlichkeit ein Gläschen gönnte sich Karl-Heinz Rummenigge. „Diese Mannschaft imponiert mir“, sagte der Bayern-Boss, „die Mannschaft ist heiß. Sie hat großen Willen und große Leidenschaft. Wir hatten keinen guten Start und wurden zu Recht kritisiert. Glücklicherweise hatten wir im Herbst den Turnaround: den Sieg in Turin und die Mitgliederversammlung, als Louis van Gaal von den Fans gefeiert wurde, obwohl es sportlich nicht so gut lief. Da hat er erkannt, wie Bayern München tickt.“ Mittlerweile funktioniert es auch andersherum: Auch die Münchner haben verstanden, wie der Holländer tickt. Manche haben auch sein Selbstverständnis adaptiert: „Wir wissen, dass wir unsterblich werden können, und das wollen wir auch alle.“ Sagte Holger Badstuber, ein 21-jähriger Bundesligadebütant.

Während gut 500 Fans schon hupend und fahnenschwenkend die Leopoldstraße, Münchens Feiermeile, besetzt hatten, gab van Gaal noch seine Presse-Show. Pressekonferenzen mit ihm sind mittlerweile ein vorfreudig erwarteter Bestandteil der großen FC-Bayern-Show, die nicht nur auf dem Rasen stattfindet. Auch am Samstag gab es wieder ein paar schöne Ego-Sätze: „Es gibt nicht viele Trainer in Europa, die das Glück haben, in drei Ländern Meister zu werden.“ Oder: „Mein großes Vorbild war Rinus Michels. Der ist mit Holland 1988 Europameister geworden. Er war in Köln und Leverkusen und hat das hier auch nicht geschafft. Und ich habe das geschafft.“ Auch schön: „Ich habe zum Vorstand gesagt, dass wir alle Titel feiern werden. Ich bin ein Feier-Biest.“

Das Biest feierte diesmal noch mit der Familie: Eine seiner Töchter hatte Geburtstag. In Alfons Schuhbecks „Südtiroler Stuben“ am Platzl in der Münchner City trafen sich die van Gaals im kleinen Kreis. Ähnlich beschaulich feierte Rummenigge: mit der Schwiegermama in der vornehmen „Grünwalder Einkehr“. Die Spieler hatten sich dagegen laut Thomas Müller „keine Grenzen gesetzt“, was geschickt war, denn so konnte man auch keine Grenzen überschreiten. Während Diego Contento seinen Geburtstag („Gestern war ich 19, heute bin ich 20“) beim Schicki-Italiener „Hugo’s“ mit Mannschaftskollege David Alaba und einem gewissen Franck Ribéry beging, traf sich der Großteil der übrigen Mannschaft (Lahm, Butt, Klose, Müller, Schweinsteiger, Gomez, Robben, van Bommel) im von mehreren Security-Kräften abgeschotteten Schwabinger Szene-Griechen „Cavos“.

Sonntag um zwölf waren die Party-Truppen wieder vereint zum Auslaufen. Heute und morgen sind trainingsfrei, dann geht es zur Jubelsause nach Berlin, wo die Schale wartet, die dann am Sonntag auf dem Münchner Rathausbalkon eine Hauptrolle hat. Zuvor wird im Berliner Olympiastadion noch die Frage aller Fragen beantwortet: Wer duscht Gott? Wer traut sich, Louis van Gaal mit dem zünftig-bayrischen Ritual der Weißbierdusche vertraut zu machen?

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