„Rauswürfe vermeiden“

EINSPERREN Es geht auch ohne geschlossene Heime für Kinder, sagt Diakonie-Referent Martin Apiztsch

■ 56, Fachrefent für Jugendhilfe beim beim Diakonischen Werk in Hamburg.

taz: Herr Apitzsch, die auswärtige Unterbringung von Kindern in geschlossenen Heimen steht seit den Berichten über die Haasenburg stark in der Kritik. Braucht Hamburg eine Einrichtung für Kinder und Jugendliche, die kein Träger haben will?

Martin Apiztsch: Wir brauchen keine neue Spezialeinrichtung, keine neue „Perle“ in der Kette der vorhandenen Angebote.

Wohin mit Jugendlichen, die aus einer Einrichtung fliegen?

Die Jugendlichen, die bisher in ein geschlossenes Heim kamen, unterscheiden sich nicht maßgeblich von denen, die wir in offenen Wohngruppen betreuen. Auch unter diesen gibt es Selbstverletzungen und Aggression. Kinder kommen in die geschlossene Unterbringung, weil sie von anderen Einrichtungen abgewiesen werden. Es gibt politischen Druck. Oder Richter, Jugendämter und Eltern haben ganz bestimmte Erwartungen an die geschlossene Unterbringung.

Sind offene Einrichtungen inzwischen eher bereit, diese Kinder zu nehmen?

Das waren sie und sind sie auch jetzt. Man braucht mehrere unterschiedliche Einrichtungen, die mit diesen Kindern sehr individuell umgehen. Und man kann nicht erwarten, dass es keine Probleme mehr gibt. Ein 15-Jähriger, der Monate auf der Straße verbracht hat, wird nicht sofort sesshaft in einer Wohngruppe. Man muss aushalten, dass die Kinder in der Anfangszeit umtriebig sind und das irgendwann weniger wird.

Also müssen die Träger nichts ändern?

Doch. Oft haben die Kinder Heimkarrieren mit vielen Stationen hinter sich. Das ist nicht gut. Wir sind dabei zu überlegen, gemeinsam im Gespräch mit der Sozialbehörde, wie man solche Verlegungen verhindern kann. Wie man die Grenzen der Einrichtung erweitern kann. Wenn man ein Kind rausschmeißt, das auffällt, wegen Gewalt oder weil es Drogen nimmt, wird es in der nächsten Einrichtung so weitergehen. Solche Spontan-Rauswürfe aufgrund von Vorfällen könnte man vermeiden, wenn es gelingt, der Einrichtung für dieses Kind die passende Unterstützung zu geben. Ich vergleiche das mit der Inklusion in der Schule. Da geht das Rausschmeißen ja auch nicht mehr.

Dafür bräuchte man politische Unterstützung. Die Mehrheit ist für geschlossene Heime.

Die aber gar nicht erfolgreich sind. Die von Befürwortern behauptete Erfolgsquote von 50 Prozent sehe ich in der empirischen Forschung nicht belegt. Auch in den offenen Einrichtungen gelingt es nicht, alle Probleme zu lösen. Aber die Erfolgsquote liegt bei 70 bis 80 Prozent.

Was fehlt Ihnen?

Wir brauchen für die Kinder in ganz besonders schwieriger Lage ein anderes Bewusstsein in der Stadt, das darin besteht, dass wir uns um alle Kinder kümmern. Der Psychiatrie-Reformer Klaus Dörner hat einmal gesagt, im Prinzip müsste der Bürgermeister die auffälligen Psychiatrie-Patienten seines Ortes kennen. Eine vergleichbare Aufmerksamkeit sollte auch den Kindern und Jugendlichen in schwieriger Lage gelten.  INTERVIEW: KAJ

taz Salon „Nach Feuerbergstraße und Haasenburg“ über Alternativen zur geschlossenen Unterbringung: 19.30 Uhr, Kulturhaus 73, Schulterblatt 73