piwik no script img

Archiv-Artikel

Atomkraft – doch wieder?

Energiekonzern Vattenfall will in den nächsten zehn Jahren neues Atomkraftwerk bauen. Standort wahrscheinlich in seinem Monopolgebiet in Norddeutschland. Scharfe Kritik von Rot-Grün und Umweltverbänden an den Plänen

Den Neubau eines Atomkraftwerks „in den nächsten zehn Jahren“ kann der Energiekonzern Vattenfall „sich vorstellen“. Das erklärte Bruno Thomauske, Geschäftsführer der Hamburger Vattenfall-Filiale, die bis Ende vorigen Jahres Hamburgische Electricitäts-Werke (HEW) hieß. Zuvor müssten jedoch, fordert Thomauske, die Laufzeiten der bestehenden Reaktoren verlängert werden.

Über konkrete Vorstellungen schweigt der Stromkonzern, der in Norddeutschland eine Monopolstellung hat, sich aus. Für Atomkritiker ist jedoch „klar“, dass ein neues AKW nur im Versorgungsgebiet Vattenfalls denkbar wäre: in Schleswig-Holstein oder – wahrscheinlicher – in Mecklenburg-Vorpommern.

Mit diesem Vorstoß stellt der drittgrößte Energieproduzent Deutschlands den Ausstieg aus der Atomenergie so scharf wie noch nie in Frage. Die Große Koalition im Bund hält zwar offiziell an der Stillegung von Atommeilern fest, wie sie von der rot-grünen Vorgängerregierung vereinbart wurde. In der CDU wird jedoch weiter an der Möglichkeit festgehalten, die Ausdehnung der Betriebsdauer an strengere Sicherheitsbedingungen zu knüpfen.

Renate Backhaus vom Bundesvorstand des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND) reagierte mit strikter Ablehnung auf die Ankündigung von Vattenfall. Wie vereinbart, „müssen in den nächsten vier Jahren vier AKW vom Netz genommen werden“, forderte sie. Eines davon ist nach dem Atomkonsens der Meiler Brunsbüttel, an dem Vattenfall beteiligt ist. Die beiden anderen Atomreaktoren des Konzerns, Krümmel und Brokdorf, stehen ebenfalls in Schleswig-Holstein. Ihre Stillegung ist für 2016 und 2022 vorgesehen.

Eine „ungeheuerliche Provokation“ sieht die Umweltexpertin der Hamburger SPD, Monika Schaal, in dem Vorstoß des Konzerns. In der gestrigen Debatte der Bürgerschaft über den GAU von Tschernobyl vor 20 Jahren lehnte sie ebenso wie ihr Fachkollege Christian Maaß von den Grünen „jeden Ausstieg aus dem Ausstieg ab“. Eine echte Einwirkungsmöglichkeit hat die Hamburger Politk allerdings nicht mehr: Die Mehrheitsanteile der Stadt an den HEW wurden nach 1999 vom damaligen rot-grünen Senat an den schwedischen Energiekonzern Vattenfall verkauft. Die Quittung droht jetzt.

Die CDU-Regierung in der Hansestadt sieht den Atomkurs Vattenfalls positiv. Wirtschaftssenator Gunnar Uldall preist trotz des „schrecklichen Unfalls von Tschernobyl“ die „Kernenergie“ als Ausweg aus der Klimakatastrophe.

Das Gegenteil sei der Fall, findet die grüne Bundestagsabgeordnete Anja Hajduk. „Eine Renaissance der Atomkraft“ würde „die Investitionen in umweltfreundliche Energieformen verhindern“. Und der Hamburger BUND-Chef Manfred Braasch hält die Vattenfall-Drohung „ausgerechnet zum Jahrestag von Tschernobyl für eine zynische Verhöhnung der Opfer des GAU“.

Im Hamburger Landesparlament sorgte die Debatte für einen Eklat. Bürgerschaftspräsident Berndt Röder (CDU) zwang die Grünen und viele SPDler, ihre „Atomkraft-Nein Danke“-Sticker abzunehmen. „Politische Aussagen“, so seine Begründung, „sind hier unzulässig“. Sven-Michael Veit