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Archiv-Artikel

„Im Osten gibt es eine große Wertschätzung für Mathematik“

KOMPETENZEN Warum schneiden ostdeutsche Schüler im Ländervergleich besser ab? Es liegt auch an der Mentalität, sagt Bildungsforscherin Petra Stanat

Petra Stanat

■ Jahrgang 1964, Professorin an der Humboldt-Universität Berlin . Sie leitet das Institut zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB). Es wurde von der Kultusministerkonferenz geschaffen, um die Schulleistungen der Länder zu evaluieren. Die mathematisch-naturwissenschaftliche Kompetenz der Neuntklässler wurde am Freitag veröffentlicht.

taz: Frau Stanat, funktioniert der Bildungsföderalismus in Deutschland noch?

Petra Stanat: Vor welchem Hintergrund stellen Sie diese Frage?

Ihr Institut erstellt Schulleistungsstudien für die Bundesländer und hat nun getestet, wie gut Neuntklässler in Mathe und den Naturwissenschaften sind. Das Ergebnis: Die Schüler liegen in ihren Kompetenzen zwei Jahre und mehr auseinander, je nachdem, in welchem Bundesland sie wohnen.

Das ist nicht nur ein deutsches Phänomen. In Kanada bestehen zwischen den Provinzen auch erhebliche Leistungsunterschiede – allerdings auf einem hohen Niveau.

Also müssen wir uns gar keine Sorgen machen?

Die Idee des Föderalismus, dass die Bundesländer voneinander lernen, sehe ich bei uns noch nicht optimal umgesetzt.

Was können die westdeutschen Bundesländer von den ostdeutschen lernen?

Der mathematisch-naturwissenschaftliche Unterricht ist in den östlichen Bundesländern offenbar besser. Dort gibt es traditionell eine große Wertschätzung für diese Fächer. Wir nehmen an, dass diese große Wertschätzung zum Erfolg der Schüler beiträgt. Wer den Unterricht verbessern will, und das ist ja das Ziel, muss also diesen Fächern eine höhere Wertschätzung zuteilwerden lassen.

Machen die Lehrer im Osten besseren Unterricht?

Die Lehrer im Osten sind fachlich gut ausgebildet. Wir wissen aus anderen Studien, dass fachliche und fachdidaktische Kompetenzen einen Einfluss auf die Leistungen der Schüler haben. Auch unsere Studie zeigt, dass Schüler, die in Mathematik von einem Fachlehrer unterrichtet werden, im Durchschnitt 18 Leistungspunkte besser abschneiden als Schüler, welche von einem fachfremden Lehrer unterrichtet werden.

Die Lehrerausbildung unterscheidet sich stark zwischen den Ländern. Müsste das nicht einheitlicher geregelt sein?

Die Studiengänge unterscheiden sich oft auch zwischen den einzelnen Hochschulen sehr stark. Solange es gemeinsame Bezugspunkte gibt, ist das kein Problem. Mit den Bildungsstandards und unserem Wissen über Lehrerkompetenz haben wir zwar solche Bezugspunkte, allerdings haben sie in der Ausbildung noch zu wenig Bedeutung.

Jeder vierte Schüler erreicht in Mathe nicht mal die minimalsten Bildungsstandards. Ist das ein Problem?

Das erscheint mir nicht besorgniserregend hoch. Zum einen bezieht sich das auf den mittleren Schulabschluss und zum anderen hatten die Schüler zum Zeitpunkt der Tests ja noch ein Jahr Zeit, um den Regelstandard zu erreichen.

Hat es Sie eigentlich überrascht, dass Jungen und Mädchen in den Naturwissenschaften gleich gute Leistungen zeigten?

Mädchen hatten einen deutlichen Vorsprung in Biologie und waren leicht besser in Chemie und im Bereich Erkenntnisgewinnung in Physik. Vor allem Letzteres war überraschend, denn Physik wird eher als ein Fach angesehen, wo Jungen im Vorteil sind.

Gleichzeitig trauen sich Mädchen in Physik weniger zu als Jungen. Woran liegt das?

Das ist auch ein kulturelles Phänomen. Häufig werden solche Stereotype, wie „Mathe und Physik ist für Mädchen nichts“ auch vom erwachsenen Umfeld und gerade von den Müttern weitergegeben.

Was kann man dagegen tun?

Solche Stereotype aufzubrechen ist schwer. In unserer Studie zeigte sich, dass auch das Interesse für Chemie und Physik bei Mädchen schwächer ausgeprägt ist. Wenn wir ihre Potenziale heben wollen, müssen wir früh anfangen, das Interesse von Mädchen für diese Fächer zu wecken.

INTERVIEW: ANNA LEHMANN