piwik no script img

Archiv-Artikel

Auf dem Punkdorf

Vor zwei Jahren zog Angus Andrews nach Kreuzberg. Als Sänger von The Liars mag er einer der hippsten Rocker sein – er lebt wie ein Kiezberliner

VON ANDREAS HARTMANN

Man wurde vom Vertreter der Plattenfirma vorgewarnt: Egal zu welcher Uhrzeit man das Interview mit Angus Andrew, dem Sänger der Liars, ansetzen würde, er könnte den Termin verschlafen. Denn Angus würde nicht wie andere Menschen nachts und auch nicht irgendwann sonst seine paar Stunden am Stück, sondern in Schichten schlafen. Dann und wann mal ein Stündchen, ganz wie überarbeitete Japaner.

Prompt sitzt man dann auch zur verabredeten nachmittäglichen Kaffee-und-Kuchen-Zeit im Kreuzberger Büro der Plattenfirma herum, doch von Angus keine Spur. „Hat Angus jetzt eigentlich ein Handy?“, fragt der Vertreter der Plattenfirma einen Kollegen. Ja, seit kurzem hat er eines. Rangehen tut er erst mal trotzdem nicht. Irgendwann taucht Angus, noch leicht verpennt wirkend, dann doch noch auf, ein hünenhafter Schlaks, eingehüllt in eine Daunenjacke. In der Kombination aus einer No-name-Jeans und Turnschuhen wird gleich deutlich, dass Angus auf alles mehr Wert legt als auf Style und Fashion und sich so schon mal komplett von den meisten anderen Mitgliedern junger cooler Rockbands unterscheidet, die derzeit überall für Furore sorgen. Dass er einmal mit Karen O. zusammenwar, der als neue Hipness-Queen gefeierten Sängerin der New Yorker Band Yeah Yeah Yeahs, vermag man sich kaum vorzustellen.

Der Vertreter der Plattenfirma erklärt, für ihn sei Angus ein ziemliches Enigma. Seit zwei Jahren wohne er nach seinem Umzug aus Brooklyn nun schon in Berlin, doch aus Kreuzberg sei er in dieser Zeit nicht hinausgekommen. Was er den ganzen Tag mache, außer in Schichten zu schlafen, wisse er auch nicht. Irgendwas mit Kunst und Film, 12 der insgesamt 36 Videoclips, die als DVD der neuen Liars-Platte „Drum ’s not dead“ beigelegt wurden, stammen immerhin von Angus.

Und tatsächlich: Dafür, dass Angus bereits eine ganze Weile hier wohnt, hat er von der Stadt keine Ahnung. „Friedrichshain, ist das nicht der Stadtteil mit den ganzen Kinderwagen?“ Nein, das ist Prenzlauer Berg. Gut, dann habe er von diesem Teil Berlins noch nie etwas gehört. Angus ist eben ein richtiger Kiezkreuzberger, der gern seinen immergleichen klitzekleinen Radius mit dem Fahrrad durchstreift und es liebt, in Dönerbuden abzuhängen. Er wohnt neben der „Köpi“, wo er Sonntags gern mit den Punks und deren Hunden frühstückt. Dazu fällt ihm auch gleich eine hübsche Anekdote ein: Einmal habe er in dem ehemals besetzten Haus angefragt, ob er dort nicht mit seiner Band auftreten könne. Normalerweise spielen hier Ska- oder Punkbands aus Polen oder dem Baskenland, die niemand kennt. Er habe dem Verantwortlichen eine CD der Liars überreicht und prompt eine Absage bekommen. Die Begründung für das Nein war: „Weil du bereits eine CD hast.“

Dass es hier überhaupt noch Antikommerzpunks gibt, das findet Angus so gut an Berlin. In seiner Band geht es ja auch vor allem um eines: um Haltung. Darum, nicht mit, sondern unbedingt gegen den Strom zu schwimmen. Mit ihrer ersten Platte „They threw us all in a trench and stuck a monument on top“ wurden die Liars noch als Teil einer neuen New Yorker Rockbewegung wahrgenommen, als kantigere Strokes, wenn man so will. Doch Angus und seine beiden Bandkollegen, und das wird nun mit der dritten Platte überdeutlich, wollten nie auf irgendetwas festgelegt werden. Festlegung oder Schubladisierung ist vielmehr ihr erklärter Todfeind.

Deswegen unterscheiden sich sämtliche ihrer Platten komplett voneinander. Deswegen hat die Band das Zentrum New York längst aufgegeben, sich von örtlichen Fesseln befreit und sich auf Brooklyn, Los Angeles und Berlin verteilt. Und deswegen wurden für die Aufnahmen zur neuen Platte auch die Instrumente neu verteilt. Der Gitarrist spielt jetzt Schlagzeug, womit es zwei Drummer in der Band gibt, und Angus wiederum, der vorher ausschließlich Frontmann war, versucht sich nun auf der Gitarre. Das hält frisch, zwingt einen förmlich dazu, etwas auszuprobieren, etwas anders zu machen. Würden sich mehr Bands ein derartiges Remodelling verschreiben, die Rockwelt wäre eine bessere.

Zumal „Drum ’s not dead“ ein echtes Monster geworden ist, eine hypnotische Wunderplatte. Statt Ecken und Kanten fließt nun alles, und Angus singt plötzlich wie ein Engel. Aufgenommen wurde die Platte in Berlin, die Berlinplatte, die viele in ihr gern sehen möchten, ist sie dennoch nicht. Denn ironischerweise klingt sie eher nach typisch New Yorker Artschool-Rock, nach früheren Sonic Youth. Angus gibt sich dann auch recht amüsiert darüber, dass vor allem Berliner ein frisch in die Liars implantiertes Berlin entdecken wollen. Er lebe jedoch nicht hier wegen den Einstürzenden Neubauten und der Berliner Szene, sagt er, sondern einfach weil hier die Mieten billig sind, man sich im Gegensatz zu den USA frei bewegen könne und das Staatsoberhaupt nicht George W. Bush heiße.

Dass der Charme Berlins für Angus gar keine so große Rolle spielt, kann vor allem die hiesige Presse gar nicht fassen. In einer kürzlich erschienenen absurden „Homestory“ hat das WOM-Magazin so getan, als wäre Angus gerade erst nach Berlin gezogen, also noch ganz frisch verliebt in die Stadt; und das Lifestyle-Magazin IQ wollte von Angus „sein“ Berlin gezeigt bekommen, also am besten mit Fernsehturm und dem ganzen Programm. Doch das Berlin, das man nun in der Story vorgeführt bekommt, den Görlitzer Park und den Blumenladen um die Ecke, ist eher das Berlin der Autorin als das von Angus, der auf eine Stadtführung und ein „I love Berlin“-Bekenntnis einfach keine Lust hatte. Wenn es schon um Einflüsse ginge, so betont er, so lägen diese zumindest musikalisch – schließlich heißt die extrem rhythmifizierte Platte nicht umsonst „Drum ’s not dead“ – eher in afroamerikanischen Marching Bands und in den japanischen Trommeltechniken des Kodo und Taiko liegen.

Auf der Suche nach abgefahrenen Rhythmen und schlagwerkbetonter Musik wäre Angus in Berlin auch nur schwer fündig geworden. In Berlin regiert schließlich die Bassdrum und die ist meist auch noch gerade. Doch davon hat Angus nicht einmal allzu viel mitbekommen. Berghain? Nie gehört. Ist aber nur logisch, dieser Club liegt ja auch in Friedrichshain.

Liars: „Drum ’s not dead“ (Mute/ Virgin)