: Kommando Suppenküche
SOLIDARITÄT Die Hamburger Lampedusa-Flüchtlinge erhalten aus der Bevölkerung große Unterstützung, die weit ins bürgerliche Lager reicht. Die St.-Pauli-Kirche hat 80 der Afrikaner aufgenommen. Ein Besuch in der Suppenküche, die für die Flüchtlinge kocht
VON ANNIKA LASARZIK
Heute gibt es Kürbisse. In großen Holzkisten stapelt sich das Gemüse, daneben liegen Äpfel, Kohlköpfe, gerade hat jemand noch ein paar Blumen vorbeigebracht. „So viele Spenden bekommen wir sonst nicht“, sagt Lena und lässt ihren Blick prüfend durch die Küche schweifen. In dem provisorisch mit Bänken und Tischen eingerichteten Raum herrscht eine konzentrierte Geschäftigkeit: Ein paar Männer schneiden Gemüse, ein anderer formt Hackbällchen, aus dem CD-Player tönt leise afrikanische Musik.
Dazwischen sind Lena und Sina ständig in Bewegung, sie verteilen Aufgaben, beantworten Telefonanrufe. Den beiden Frauen bleibt nur wenig Zeit, um das Abendessen zu organisieren, rund 150 Männer sollen satt werden. Dabei ist noch gar nicht sicher, wie viele heute tatsächlich kommen werden: Gekocht wird hier für die libyschen Lampedusa-Flüchtlinge, die seit einer Woche massiven Polizeikontrollen ausgesetzt sind. Die Suppenküche war für sie bisher die einzige Garantie auf eine warme Mahlzeit am Tag.
Bisher ist es gelungen, diesen Ort geheim zu halten– wie lange das noch so weitergeht, wissen die Helferinnen nicht. „Viele Jungs trauen sich längst nicht mehr auf die Straße – wir müssen jetzt alle zusammenhalten, um sie zu schützen und nicht allein zu lassen“, sagt Lena. Wenn die junge Frau über die angespannte Lage der Flüchtlinge spricht, senkt sich ihre Stimme, und ihr Blick wird müde. „Aber grübeln bringt ja doch nichts“, sagt sie dann schnell. Sie legt die Stirn in Falten. „An die Zukunft denke ich nicht – sonst würde ich das alles gar nicht schaffen.“
Seit Monaten hilft die 24-Jährige hier schon in der Küche aus, jeden Tag, manchmal bis zu sieben Stunden lang. Am Vormittag arbeitet sie weiter als Erzieherin. Es ist eine Doppelbelastung, die mit einem hohen Maß an Verantwortung verbunden sein muss, doch ihre Motivation scheint ungebrochen: „Meine eigentliche Arbeit ist hier in der Küche. Ich habe kein Privatleben mehr, aber das ist jetzt alles nicht wichtig. Wenn ich könnte, wäre ich den ganzen Tag hier“, sagt Lena und klingt dabei ein wenig trotzig.
Am Nebentisch stehen fünf junge Männer, die nun schon seit Stunden das Essen vorbereiten. Den Blick konzentriert auf die Tischplatte geheftet, führen sie die immer gleichen Handbewegungen aus. Sie alle tragen das gleiche schwarze T-Shirt, auf dem Rücken stehen ihre Namen. „Die haben wir uns gerade erst bedrucken lassen, auch eine Spende“, sagt Yusuf, der gerade den Thunfischsalat zubereitet.
Seit Wochen arbeitet das Küchenteam in dieser Besetzung zusammen, fünf bis sechs der Flüchtlinge sind immer dabei. „Für die Jungs ist das eine Abwechslung, sie machen sich nützlich, fühlen sich nicht so hilflos“, sagt Lena.
Am Anfang war es die Empörung, die Lena zu ihrem Engagement bewegt hat. Schon damals im Frühjahr, als das Hamburger Winternotprogramm endete und viele afrikanisch aussehende Männer vor der Obdachlosenunterkunft Pik As auftauchten, sei ihr klar gewesen, „dass man doch was tun muss“. Also habe sie recherchiert, Medienberichte gelesen über die europäische Flüchtlingspolitik und deutsche Asylverfahren. „Sich im Stillen ärgern, diskutieren – das bringt nichts“, sagt Lena.
Inzwischen sind es auch die persönlichen Bindungen, die sie zum Weitermachen motivieren. „Wir sind hier eine kleine Familie geworden“, sagt Lena.
Den Unterstützern geht es nicht nur um die Verpflegung der Männer, sondern auch um Zuspruch, Vertrauen, Zuhören. „Viele der Flüchtlinge sind schwer traumatisiert, wir sind die Ersten, denen sie ihre Geschichten offenbaren.“ So wie Tom, der gerade noch in einem Moment der Ausgelassenheit durch den Raum getanzt ist. Italienische Polizisten haben dem jungen Mann die Nase gebrochen. Anschließend bekam er keine ärztliche Behandlung, nun leidet er unter starken Schmerzen und Atemproblemen.
Weitere Helfer treffen ein – Leute aus der Kirchengemeinde, Nachbarn, Studenten. Es folgen herzliche Begrüßungen, man kennt sich. Doch für Smalltalk ist keine Zeit. Sie sind gekommen, um zu warnen – eine Polizeistreife sei in nächster Nähe unterwegs, sagen sie. Marie, eine Frau Mitte vierzig, gut gekleidet, wohnt ganz in der Nähe und ist fast täglich vor Ort, um zu helfen. Mit dem Studenten Torben diskutiert sie, was getan werden kann, um die Flüchtlinge vor den Kontrollen zu schützen. Dass die HelferInnen sich hier laut Aussage des Hamburger Innensenators strafbar machen, scheint niemanden zu ängstigen oder auch nur zu interessieren. Marie schnaubt verächtlich. „Na, dann sollen sie doch kommen und uns alle verhaften“ – mehr sagt sie dazu nicht.
Inmitten der ganzen Diskussion steht Sina wie ein Fels in der Brandung. Normalerweise arbeitet sie als Managerin bei einem großen Textilunternehmen, aber weil sie gerade wegen einer Knie-Operation krank geschrieben ist, hat sie die Leitung des Küchenteams übernommen. Den Protest öffentlich machen und auf die Straße tragen, das sei auch ihr wichtig, sagt sie. „Aber gerade werde ich hier gebraucht.“ Die Personenkontrollen, die Proteste und die Blockaden – das alles geschieht erst einmal nicht in dieser Küche.
Politisch aktiv sei sie nie gewesen, sagt Sina – „das ist einfach nicht mein Ding, ich werde dabei immer zu emotional.“ Aber kochen kann sie: „Als ich gehört habe, dass vor allem vegetarisches Essen gespendet wird, war klar, dass ich eingreifen muss – das sind afrikanische Männer, die brauchen doch Fleisch.“ Sina lacht laut auf. Sie ging zum Infozelt der Lampedusa-Gruppe in St. Georg und bot ihre Hilfe an. „Und jetzt koche ich eben täglich für 150 Leute“, sagt sie, als sei es das Selbstverständlichste der Welt.
Die Angst der Flüchtlinge kann Sina gut verstehen, das „Racial Profiling“ der Polizei erlebt sie selbst immer wieder: Sinas Familie kommt aus Ghana, sie selbst ist in Deutschland geboren und aufgewachsen. „Jeden Monat werde ich ein oder zwei Mal von der Polizei aufgegriffen. Wenn ich dann vernünftig frage, aus welchem Grund ich meine Personalien vorzeigen soll, heißt es, ich werde aggressiv.“ Sina rollt mit den Augen und schüttelt den Kopf, während sie ein paar Hähnchenschenkel in den Ofen schiebt.
Wie immer kocht die Küchenchefin afrikanisch, wegen des muslimischen Opferfestes gibt es heute viel Fleisch. Die vielen Spenden kommen da gerade recht: „Das ist nicht immer so, oft muss ich improvisieren“, sagt Sina. Sie zählt ein paar Spendernamen auf: Berühmte Sterneköche, renommierte Hotels und bekannte Konzerne haben die Flüchtlinge schon mit Geld und Sachspenden unterstützt.
„Aus allen Gesellschaftsbereichen, selbst aus den feinsten Kreisen haben wir Hilfe und Unterstützung erfahren“, sagt Lena. Viele Spender wollten allerdings nicht, dass ihre Namen genannt werden – „aus Angst vor Repressionen“, vermutet Lena. „Aber zu wissen, dass so viele Menschen in dieser Stadt helfen wollen, das gibt uns allen Kraft.“