: Nachrichtensperre in eigener Sache
Großverlage im Revier verhindern eine Berichterstattung über das Aus von Redaktionen in Bottrop Buer und Bochum. Nun will die Journalistengewerkschaft die AbonnentInnen informieren – mit Protest-Postkarten und Plakaten
BOCHUM taz ■ Der Deutsche Journalistenverband (DJV) startete am Wochenende eine Protestaktion gegen das Zeitungssterben im Ruhrgebiet. Beim Gewerkschaftstag im Bochumer Ruhrkongresszentrum stellte der DJV das Projekt „Total lokal! Aktionsbündnis für Ihre Lokalzeitung“ vor. „Wir wollen über die Abonnenten Druck auf die Verleger ausüben“, so Gregor Spohr, NRW-Landesvorsitzender des DJV. Dazu will die Gewerkschaft zunächst die Zeitungsleser informieren, denn die Medien berichten über den schleichenden Pressetod im Pott so gut wie gar.
Ein Blick zurück: Als der Zeitungsverleger Kurt Bauer Ende März ankündigte, die Buersche Zeitung (BZ) in Gelsenkirchen einzustellen, war das der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung (WAZ) nur ein paar Zeilen im Lokalteil wert. In der BZ, deren Chefredakteur Verleger Bauer zugleich ist, wurde das eigene Aus gar nicht thematisiert. Und auch die Ruhr Nachrichten (RN) schwiegen, hatten sie soeben doch selbst drei Lokalteile zugemacht, unter anderem in Gelsenkirchen. Die Empörung, die Journalisten sonst an den Tag legen, wenn Betriebe geschlossen werden – sie blieb aus.
Nun ein ähnliches Bild: Zum DJV-Protest waren zwar viele Gewerkschafter gekommen. Berichtende Journalisten aber musste man suchen: Neben der taz war bloß eine Journalistin des WDR anwesend. Mit Zettel und Stift statt mit Kamera und Mikrofon. Und die Mitarbeiter der RN waren bloß da, um sich über ihre Zukunft zu informieren. Berichten dürfen sie über den Protest ausdrücklich nicht. Nach taz-Informationen wurde ihnen das von oberster Stelle untersagt.
Weshalb, liegt auf der Hand: Der Protest richtet sich, neben BZ-Chef Bauer, besonders gegen den Verleger der RN. Lambert Lensing-Wolff setze die Zeitungslandschaft in Brand, sagt die Gewerkschaft. Er feuere Journalisten „wie es ihm passt“, schließe Lokalredaktionen „ohne wirtschaftliche Not“. Natürlich will der Jungverleger so etwas nicht im eigenen Blatt lesen will. Aber die RN sind nicht die einzige Zeitung mit einer Redaktion in Bochum. Da ist noch eine – die WAZ.
Aber auch die wird heute im Lokalteil nicht über den Gewerkschaftsprotest berichten. Ebenfalls Anordnung von oben? Möglich wäre es, denn die größte Zeitung im Ruhrgebiet profitiert vom Zeitungssterben. Der Leiter der Bochumer WAZ-Redaktion dementiert: „Wir wussten nichts von einer Protestaktion“, sagt Werner Conrad. Und eine Anweisung habe es „in keiner Weise“ gegeben. Nach Angaben des DJV wurden allerdings alle Kollegen eingeladen. Conrad: „Das ist mir nicht bekannt.“
Die letzte Zeitung, die in Bochum nun noch über den Protest berichten könnte, wäre der Stadtspiegel. Doch auch hier stehen die Chancen schlecht: Das kostenlose Anzeigenblatt gehört der Ostruhr-Anzeigenblattgesellschaft (ORA) und die zu gleichen Teilen RN und WAZ.
Was bleibt, sind überregionale Zeitungen, Nachrichtenagenturen, Fernsehen, Hörfunk. Aber auch dort ist es recht still. In der NRW-Redaktion der Deutschen Presseagentur (dpa) heißt es, Medienthemen müssten beim Chef über den Tisch. Und dann? Dass dpa befürchtet, Kunden wie die WAZ zu verlieren, kann nur vermutet werden.
Die Folge: Die wenigsten Menschen erfahren, was vor ihrer Haustür geschieht. „Wenn auf die Inhalte zugegriffen wird, ist das eine Eskalation“, sagt Kajo Döhring, Geschäftsführer des DJV NRW. So versucht der DJV die Menschen im Alleingang mit Postkarten und Plakaten zu erreichen: „Wir wollen, dass die Leser ihren Protest formulieren.“
BORIS R. ROSENKRANZ