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Archiv-Artikel

„Die haben keine Schippe dagelassen“

Die Galopprennbahn Hoppegarten musste auf das traditionelle Auftaktrennen im Frühjahr verzichten. Trainer Martin Rölke macht dennoch weiter. Der einstige Erfolgsjockey schont seine Pferde und lässt kein gutes Haar an den ehemaligen Betreibern

„Die feinen Herren konnten vor lauter Arroganz doch gar nicht mehr gehen“

von Andreas Rüttenauer

Er ist laut. Er ist klein. Er ist der Trainer. So wird er von seinen Angestellten angesprochen. „Was soll ich machen, Trainer?“ Martin Rölke weiß die Antwort. Die Pferde haben am Tag zuvor „hart gearbeitet“, deshalb müssen die Galopper, die für die ersten Rennen des Jahres schnell gemacht werden sollen, heute nur ein gemäßigtes Programm absolvieren. Breitbeinig steht Rölke im Mittelgang seines Stalls. Während er seine Reiter anweist, unterhält er sich mit einer Pferdebesitzerin. „Nein, das käme noch zu früh für ihn“, erklärt er der Frau, die ihren Wallach seit ein paar Wochen von Rölke trainieren lässt. Er ist noch nicht fit.

So geht es vielen Pferden in Rölkes Stall. Das war in den vergangenen Jahren anders. Da begann die Saison mit dem traditionelle Osterrenntag in Hoppegarten. Doch der fiel in diesem Jahr aus. Die Galopprennbahn mit der ruhmreichen Vergangenheit und der bescheidenen Gegenwart kämpft wieder einmal um ihre Zukunft.

Die weißen Mauern der Stallungen strahlen in der Frühlingssonne durch die mäßig belaubten Bäume hindurch. Doch von den großen Hoffnungen, die bis vor kurzem mit der Galopprennbahn verknüpft wurden, ist nicht viel geblieben. „Vornehm geht die Welt zu Grunde“, witzelt der Trainer über die Zukunft seiner Boxenanlage. Vor nicht einmal sechs Jahren wurde sie fertig gestellt. Schon damals hatten all jene, die von der Rennbahn leben, so manche Enttäuschung hinter sich. Es hatte potenzielle Geldgeber gegeben. Rölke bellt ein paar in der Reiterszene illustre Namen: „Baron von Finck, Baronin Ullmann, Schockemöhle.“ Die seien bereit gewesen, „einen Haufen Geld nach Hoppegarten zu schmeißen“. Doch es passierte nicht. Die Investoren seien regelrecht verprellt worden, meint Rölke. „Wer investiert schon, wenn man ihm nur einen Erbpachtvertrag bieten kann?“

Die Renntage waren dennoch gut besucht. Vornehme Frauen in großen Hüten wurden von ihren reichen Männern auf die alte Haupttribüne geführt. „Da hat auch schon mal eine Franziska van Almsick vorbeigeschaut, auch der Harald Juhnke hat hier seine Zigarren geraucht“, erinnert sich der Trainer. „Vor drei Jahren war noch der Kanzler da, seitdem ist nichts mehr passiert.“

Rölke verschränkt die Arme. Aus seinem lautem Gebell wird schwärmerisches Murmeln, wenn er an die 20er-Jahre erinnert. Der ehemalige Jockey erzählt von den Menschenmengen, die in der Frühzeit der Galopprennbahn auf sechs Bahnsteigen in Hoppegarten ankamen, so als wäre er damals dabei gewesen: „Die waren doch alle da damals, die großen Gestüte, die hatten hunderte Pferde hier. Die besten Trainer, die sind doch alle von hier gekommen.“

Der heute 60-jährige Rölke wurde erst nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs geboren. Seine Lehre im Galoppsport hat er in Leipzig gemacht, „zu Ost-Zeiten“. „Damals hat es noch reiche Leute in der DDR gegeben, da hat der Sport richtig gut funktioniert.“ Erst mit der Machtübernahme Erich Honeckers sei die Blütezeit des Pferdesports in der DDR zu Ende gegangen, schimpft Rölke. „Dieser Vollidiot hat den ganzen Mittelstand kaputt gemacht.“ Die Kosten für die Pferde konnten nicht mehr von der Steuer abgesetzt werden. Die Szene wurde vollends verstaatlicht. Jockey Rölke selbst feierte allerdings bei diesen staatlichen Rennern größten Erfolge. Fünfmal wurde er Derbysieger in der DDR, bei allen wichtigen Rennen im Osten saß er mindestens einmal auf dem Siegerpferd.

Seit 1988 reitet er nicht mehr selbst. Er wurde Trainer. „Da fing das Leben erst richtig an“, sagt er. „30 Jahre lang habe ich hungern müssen, habe immer Gewicht gemacht. Da bist du dann schon froh, wenn das vorbei ist.“ Er lacht. „Früher war ich jung und fit, heute bin ich alt und fett.“

Als die Mauer fiel, konnte er etliche Erfolge als Trainer aufweisen – und eine Bahn mit Potenzial. „Dann haben wir denen aus dem Westen unsere Anlage gezeigt. So etwas haben die noch nie gesehen“, schwärmt Rölke. Die Bahn, inmitten eines Waldgebietes gelegen, ist größer als alle anderen in Deutschland. Die Besucher aus dem Westen staunten nicht schlecht. Die Zeit der großen Hoffnungen begann. Sie endete mit einer Riesenenttäuschung.

Der Tiefpunkt war im Sommer 2005 erreicht. Der Unionclub, der die Bahn in Erbpacht betrieben hat, meldete Insolvenz an. Die Szene war geschockt. Der Insolvenzverwalter fand nur noch wenig vom Inventar. Gerätschaften zur Pflege der Anlage fehlten ganz. „Die haben nicht einmal eine Schippe dagelassen“, schimpft Rölke. Auch er hat dem Club lange vertraut. Heute lässt er kein gutes Haar mehr an den „feinen Herren“. „Wenn einer Sponsor werden wollte, haben die den behandelt, als wäre das eine Gnade, Geld geben zu dürfen“, wettert er. „Die konnten vor lauter Arroganz doch gar nicht mehr gehen.“

Jetzt soll die Anlage verkauft werden. Das kann dauern. Ein neuer Rennverein hat sich gegründet. Er will am 21. Mai einen ersten Renntag veranstalten, als Zwischennutzer. Dafür muss noch jede Menge Geld aufgetrieben werden. Ob der Galopprennsport in Deutschland überhaupt lohnend betrieben werden kann, darf durchaus bezweifelt werden. Die Umsätze an den Wettschaltern, von denen die Bahnen leben, sinken von Jahr zu Jahr.

„Wir müssen den Leuten eben noch etwas anderes bieten als nur die Pferderennen“, meint Rölke. „Dann kann der Papa zocken, und Frau und Kinder haben auch ihren Spaß.“ Eine konkrete Idee hat er aber auch nicht. Immerhin gehe es dem Galoppsport noch besser als den Trabern. Auch dort ist das Jammern groß. Rölke wundert sich nicht. „Das ist ja noch langweiliger als Galopp“, sagt er leise.