: Proteste mit einem Überraschungsgast
Tausende demonstrieren in Kirgisiens Hauptstadt gegen den Präsidenten. Der kommt gleich selbst vorbei
BISCHKEK taz ■ In der kirgisischen Hauptstadt Bischkek ist am Samstag die größte Demonstration seit dem Machtumsturz im März 2005 gegen die Politik des regierenden Präsidenten Kurmanbek Bakijew friedlich zu Ende gegangen. Dem Ruf der Veranstalter waren bis zu 8.000 Menschen auf den Freiheitsplatz gefolgt. Das neue Oppositionsbündnis aus Parteien, Nichtregierungsorganisationen und Parlamentsabgeordneten hatte vor dem Aufmarsch von einer kirgisischen orangenen Revolution gesprochen. Man wolle so lange in Jurten ausharren, bis der Präsident gegen Korruption und Kriminalisierung vorgehe und die versprochenen Verfassungsreformen einleite.
Aus den Plänen wurde nichts. Die Opposition hatte lediglich die Lippen gespitzt, dem Präsident jedoch das Pfeifen überlassen. Nach drei Stunden stürmte Kurmanbek Bakijew mit seinem Premier Felix Kulow und einer Hand voll Leibwächter auf die Bühne und ergriff das Wort: „Ich bin der gewählte Präsident“, sagte Bakijew. Er unterstütze die Forderung der Demonstranten, erklärte der Präsident unter Buhrufen. Zum Schluss wurde er pathetisch. „Ich werde nie wie Akajew fliehen und wenn es sein muss, hier sterben.“ Der Expräsident war vor einem Jahr vor wütenden Demonstranten aus dem Land geflüchtet und hatte so der Präsidentschaft Bakijews den Weg bereitet.
Die erstaunte Oppositionsführung erklärte nach dem Auftritt des Präsidenten die Demonstration für beendet und kündigte lediglich an, Ende Mai wieder auf die Straße zu ziehen, sollte bis dahin keine Verbesserung zu sehen sein.
An dem Aufstieg zweifelhafter Personen aus der Unterwelt in Kirgisien hatte sich der Konflikt zwischen Präsident und Opposition entzündet. Bei Nachwahlen zum Parlament vor drei Wochen errangen zwei Unterweltautoritäten die Mehrheit in den Wahlkreisen. Bei den Urnengängen sicherten Kampfsportler die nötige Mehrheit für ihre Bandenchefs. Bakijew betrachtet bisher das Treiben der Kriminellen mit wohlwollender Neutralität. Sowohl die kirgisische Öffentlichkeit als auch die USA und Russland reagierten mit wachsender Empörung auf das Schweigen des Präsidenten.
Vor der Demonstration hatte Bakijew mit einer Doppelstrategie versucht, der Opposition den Wind aus den Segeln zu nehmen. Zum einen machte er deutlich, dass er hart durchgreifen wolle, sollte die Opposition einen Sturm auf den Regierungssitz versuchen. Zum anderen gab er sich dialogbereit. Die Opposition fühlte sich am Samstag ebenfalls als Sieger. Der Protestmarsch habe zumindest den Präsidenten auf das Podium gelockt.
MARCUS BENSMANN