: Mister Schlotterknie
SCHALKES SORGEN Kevin-Prince Boateng wird wohl nach seiner Verletzung wieder auflaufen gegen Chelsea, aber wie lange geht das gut mit dem Problemknie?
GELSENKIRCHEN taz | Über seinem linken Knie hat Kevin-Prince Boateng sich ein ganz besonderes Tattoo stechen lassen. Ein Spinnennetz umschließt das Gelenk, „wegen der ganzen Knie-Operationen“ habe er sich für dieses Motiv entschieden, erläuterte der Schalker Profi vor einiger Zeit. Denn „ein Spinnennetz kommt immer wieder“. So wie die Verletzungen am Knie, und deshalb freuen die Schalker sich zwar, dass Boateng am heutigen Abend gegen den FC Chelsea nach zweieinhalbwöchiger Pause wohl wieder spielen kann. Aber Erleichterung fühlt sich anders an.
Denn nach der Rückkehr des wahrscheinlich wichtigsten Schalker Spielers bleibt ein Gefühl des Zweifels, die Krankengeschichte von Boatengs Knie ist zum großen Aufregerthema geworden. Auch vor dem Unfall in der Partie gegen den FC Augsburg, der den 26-Jährigen zu einer zweiwöchigen Pause zwang, musste er immer wieder Trainingseinheiten auslassen. Boateng selbst spricht mal von seinem „Schlabberknie“, mal verwendet er die Bezeichnung „Problemknie“, und er klingt dabei nicht, als glaube er an eine endgültige Lösung der Schwierigkeiten. Und deshalb wirft diese Krankengeschichte die Frage auf, ob die Boateng-Verpflichtung, für die die Schalker sich im August hatten feiern lassen, in Wahrheit ein hoch riskantes Geschäft gewesen ist.
Entsprechenden Nachfragen weichen die Verantwortlichen derzeit konsequent aus, man solle „aufhören, irgendwelche Paniken zu schieben“, sagt Manager Horst Heldt. Er habe die Statistiken studiert und festgestellt, dass „Kevin in den letzten zwei, drei Jahren sehr viele Spiele für den AC Mailand“ bestritten hat. Aber das ist natürlich kein überzeugendes Argument, denn so eine Schwachstelle wird normalerweise nicht stabiler im laufenden Betrieb des Hochleistungsfußballs. Im Gegenteil. Häufig werden die Schäden schlimmer in diesem Modus zwischen Spezialtraining, Schonung und Wettkampf, in dem Boateng sich offenbar im Moment befindet.
Seit der ghanaische Nationalspieler auf Schalke angekommen ist, musste er immer wieder auf die Mannschaftsübungen verzichten und separat trainieren. „Er geht dann aufs Fahrrad oder in den Kraftraum“, sagt Trainer Jens Keller, und weil Boateng einer dieser außergewöhnlichen Fußballer ist, die ein Team wie Schalke auch ohne regelmäßiges Mannschaftstraining besser machen, war das bisher kein Problem. Allerdings stellt sich schon die Frage, wie genau die Schalker über das sensible Knie Bescheid wussten, als sie Boateng Ende August für rund 10 Millionen Euro verpflichteten. „Natürlich gibt es bei jedem Spieler Prognosen“, sagt Heldt, „dafür ist ein Medizincheck da, und nach der Einschätzung richtet sich ein Kauf.“ Was Mannschaftsarzt Thorsten Rarrek dem Manager nach Boatengs Untersuchung mitteilte, bleibt aber ein Geheimnis. „Ich glaube nicht, dass sie das etwas angeht“, entgegnet Heldt zu entsprechenden Nachfragen.
Da hat er natürlich recht, intime Details über medizinische Befunde sind bei Fußballprofis ebenso sensibel wie bei anderen Patienten auch. Es gilt die Schweigepflicht. Klar ist allerdings, dass das Knie anfällig ist. Und offenbar gibt es keine klaren Vorstellungen darüber, wie sich das ändern lassen könnte, eine weitere Operation ist jedenfalls nicht geplant.
Möglicherweise lässt sich so erklären, warum Boateng für einen Fußballer seiner Qualität vergleichsweise günstig war. Der AC Mailand sei gezwungen, Geld zu sparen, heißt es zum Motiv für den Verkauf, doch gibt ein Klub auf Sparkurs einen Spieler eher unter Wert ab, als ein Verein, der nicht auf jeden Euro schauen muss? Roger Wittmann, der Berater Boatengs, sagte in der vorigen Woche, „keiner muss sich Sorgen machen“, das Knie sei „komplett schmerzfrei“, gegen Chelsea und im Derby gegen Borussia Dortmund am Samstag soll Boateng spielen. Doch eine Perspektive ohne Schlotterknie im Mittelfeld kann im Moment niemand aufzeigen in Gelsenkirchen. DANIEL THEWELEIT