: Seltsame Pflanzen
JUBELWOCHE Was ist dieses taz2 eigentlich? Das fragen sich viele LeserInnen noch heute. Unser Hausforscher versucht diese Frage zu beantworten
■ Anlass: Am 18. 10. 2003 erschien taz2 zum ersten Mal. Aufmacher war ein Interview mit der Politikerin Sigrid Skarpelis-Sperk.
■ Begehung: Gestern kritisierten die LeserInnen die Untugenden des Ressorts. Morgen schreibt Martin Reichert über die Kinderarmee der taz. Wir feiern uns bis zum kommenden Freitag.
VON HELMUT HÖGE
Auf dem Höhepunkt der Karriere der „Spice Girls“ erzählte der Kulturredakteur des Guardian dem Chefredakteur, was seine Tochter in ihrer Verehrung für die Sängerin „Posh Spice“ (die spätere Victoria Beckham) alles anstelle. Und der Chefredakteur fragte: „Und warum steht darüber nie was in unserer Zeitung?“ Am Ende entwickelte man daraus Guardian 2. Wenn man den Kulturteil von Guardian 1 als der E-Kultur verpflichtet begreift, dann ist Guardian 2 für die U-Kultur zuständig: für Fernsehen, Internet, Pop, Mob und Moden.
Seit das Vorbild der taz, die linksradikale Libération, sich an das Kapital verkaufte, während die taz sich für die „kleine Lösung“ Genossenschaft entschied, wurde ihr quasi der linksliberale Guardian zum Vorbild.
Der Kulturteil der Libération bestand vor allem aus Diskursen der linken Bewegung, wohingegen der Kulturteil des Guardian die Sparten – Literatur, Film etc. – kritisch verfolgte. Das Interesse von Guardian 2 bewegte sich dagegen über beider Ränder hinaus. Und wie dort, so darf man sich auch hier das Verhältnis vom taz-Kulturteil zur taz2 vorstellen.
Allein, Quote (Mob), Mode und Pop sind im Wesentlichen sogenannte Medienereignisse, das erzwang geradezu ein Zusammengehen von taz2 und der Fernsehredaktion „Flimmern und Rauschen“, was lange Personalquerelen nach sich zog – mit Wutmails, Resignationskündigungen und Neueinstellungen – während die Kulturredaktion unaufgeregt weitermachte. Am Ende hieß taz2 dann „Gesellschaft + Kultur/Medien“, und der CvD saß täglich mit der Kulturredaktion zusammen an einem großen neuen Produktionstisch. Sie sollten „kooperieren“ – um noch schlummernde „Potenziale“ zu wecken. Der eine Teil arbeitete etwa an einem nachdenklichen Stefan-Raab-Porträt, der andere hob dagegen den „kleinen Hype“ – also etwa das neue Buch von Detlef Kuhlbrodt – hervor. Den ideellen Gesamtleser stellte man sich vielleicht so vor: „Er verspürte am Morgen Lust auf irgendetwas: vielleicht auf eine Verfassungsänderung, vielleicht auf einen Stör mit Meerrettich.“ (Saltykow-Schtschedrin)
Erschwerend für taz2 kam dann aber noch die gesteigerte Wochenendlust hinzu, die eine „erweiterte sonntaz“ erzwang, dort sah man natürlich auch Mob und Pop gefasst ins Auge, also allem, was in diesem globalen Schweinesystem von „öffentlichem Interesse“ ist – das heißt, halbwegs angesagt und gut gerankt. Und wenn nicht, musste ein „zunehmend“ oder „immer mehr“ die knappe Ressource Aufmerksamkeit anstupsen.
Die taz2 interviewte Norman Paech, der eben noch auf einem palästinensischen Schiffskonvoi mitgefahren war, mit dem man versuchte, die israelische Seeblockade zu durchbrechen. Spannend! Danach interviewte man einen Regisseur, der einen „Kiel-Krimi“ für die ARD abgedreht hatte.
Noch komplizierter wurde es mit der Installation einer „sabbattaz“-Redaktion, die sich natürlich mit der „sonntaz“ arrangieren musste, denn es gibt nur eine – immer dicker werdende – Wochenendausgabe (mit eigenem Abo). Und dann sitzt neben der taz2 auch noch die alte Wahrheit-Redaktion, die zwar ein Schild an ihre Tür heftete: „This is not the Joke-Department“, die sich jedoch auch immer wieder gern über topaktuelle Lifestyle-Exzesse ironisch erhebt, mitunter sogar gereimt. Anders als zum Beispiel die im 3. Stock „angesiedelte“ Berlin-Kultur, die dem lokalen Amüsierpöbel mit einem Humor kommt, der sich fallen lässt. Manchmal bemerkt man ihn gar nicht.
Redaktionsübergreifend machte sich zudem der auch dem Guardian nicht fremde US-Trend bemerkbar, immer mehr Themen zunehmend an Personen „festzumachen“, wobei man mitunter durchaus in Konkurrenz zu den Elaboraten der Springerstiefelpresse und den Machwerken Gala und Bunte geriet. Anfänglich hatte nur die taz-Berlinredaktion ein Exemplar der Springerzeitung Morgenpost abonniert, inzwischen bekommen fast alle taz-Redaktionen die Bild-Zeitung, bis auf die Kulturredaktion, die – wegen des Feuilletons – Die Welt braucht. Draußen – am Ökofahrradständer – hängt zudem seit 2009 eine zehn Meter hohe und nachts beleuchtete sexualkritische Verherrlichung des Bild-Chefredakteurs an der taz-Hauswand – ein „Pimmel über Berlin“ laut taz.
Bei den Intelligenzblättern, zu denen sie sich zählt, stehen die Wirtschaftsseiten vor den Sportseiten – und das hat gute verdummende Gründe: Auf den einen wie den anderen Seiten geht es um „schneller, weiter, höher“ – sodass sich „Erfolg“ in Zahlen ausdrücken lässt. Die Erfindung der Zahlen – die große Tat der Griechen – hat uns mit der Zeit derart verblödet, dass die „heutigen Revolutionen“, so der Medienforscher Friedrich Kittler, „nur noch fürs amerikanische Fernsehen gemacht werden“.
Einem „Streiflicht“ der Süddeutschen Zeitung ist zu entnehmen, dass auch die Politik inzwischen eine enge Verbindung zum Sport eingegangen ist: „Der Fußball ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen, dort, wo fast alle Politiker stehen. Deshalb werden in den Parteizentralen ständig Steilpässe angemahnt und Befreiungsschläge aus der bedrängten Abwehr gespielt. Sprachlich ist die Politik mit dem Erfolgsmodell Fußball längst auf Augenhöhe. Der SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück sagte nach der Wahl: „Der Ball liegt jetzt im Spielfeld von Frau Merkel.“
Die auf der nämlichen Augenhöhe dribbelnde taz2 beginnt jeden Montag mit einem Wochenrückblick vom TV-Produzenten Friedrich Küppersbusch, in dem es vor allem um eine witzige (kreative!) Kommentierung medial herausragender Blödheiten aus der Welt des Sports, der Politik, der Kultur und des Limburgers geht. Ähnlich gestrickt sind auch die Betitelungen der Texte, die oft, wie auch bei anderen Blättern, aus dem Versprechen eines U-Top-Events und der Verballhornung einer E-Phrase bestehen: „Letzte Ausfahrt Bad Kleinen“ und „Die Mühlen der Ebene“ oder: „Krieg und Friesen“, „Türken lecken nicht, Ostdeutsche dafür immer“.
Widergespiegelt wird das von der Sitzordnung (einige Redakteure arbeiten allerdings im Stehen, eine Redakteurin ist wegen Schwangerschaft freigestellt): Als man die sonntaz im 6. Stock erweiterte, wurde der dortige Autorenraum verkleinert, woraufhin der taz-Aushilfshausmeister mitten in der taz2-Redaktion – in ihrer dunkelsten Ecke – landete, wo er fortan seinen bierernsten Subproll-Anwandlungen nachhing. Er war nicht einmal für Rezensionen von TV-Krimis zu gebrauchen: Noch vom ersten taz-Stichwortgeber Wolfgang Neuss gehirngewaschen, verriet er die Mörder in seinen Vorabtexten. Es blieben kleinere Gelegenheitsrecherchen über verunglückte Wasservögel oder gequälte seltene Pflanzen. Wenig später zwängte man von oben auch noch den taz-Archivaufbauer und Dokumentar zwischen die taz2- Schreibtische, der das ironiefreie taz-Gewissen bis zuletzt verteidigte. Er ging gerade in Rente. Beide Zuzügler von oben waren Abtrünnige, die ein gewisses Maß an Professionalität aufrechterhielten, obgleich die Profession mehr oder weniger fertig mit ihnen war.
Akustisch machen sich vor allem laute Telefongespräche im Großraumbüro bemerkbar: Ständige, wie die eines taz-Medienexperten mit irgendwelchen TV-Intendanten, störten dabei weniger als ein Tonwechsel – mit seiner Frau, die beider Schicksale lenkt, von ihm jedoch stets „Ach Mäuschen, was ist denn?“ angesäuselt wurde. Ein anderer spricht zwar durchgehend „normal“, pflegt aber mit seinen Autoren am Telefon deren Texte Satz für Satz zu diskutieren. Es hört nicht wieder auf. Eine dritte verreist immer öfter in exotische Länder; wenn sie da ist, hört man gelegentlich lautes Niesen. Die Praktikanten kommen und gehen – manchmal auf hohen Absätzen.
Trotzdem erscheinen täglich drei Seiten taz2. Aber da fängt es mit der Zählerei schon wieder an: Einige Redakteure behaupten, es sind nur zwei – plus eine Medienseite, die ja auch weiter „Flimmern und Rauschen“ heißt. Egal, wenn sich die da draußen erneut zu einer kritischen Masse ballen, ändert sich sowieso wieder alles.
■ Helmut Höge ist Aushilfshausmeister und Doyen der Pollerforschung. Seit zehn Jahren saß er immer mal wieder in der Nähe des Ressorts. Wie taz2 hat er am 18. Oktober Geburtstag, er wurde in der vergangenen Woche 66 Jahre alt