: Opferangehörige scheitern mit Klage
POLEN/RUSSLAND Moskauer Ermittlungen zum Katyn-Massaker von 1940 verletzen keine Grundrechte
FREIBURG taz | Der Straßburger Prozess um das sowjetische Massaker von Katyn 1940 endete mit einem weitgehenden Erfolg der russischen Seite. Russland wurde vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) nur wegen eines Vorwurfs – mangelhafter Zusammenarbeit mit dem Gerichtshof – verurteilt. Der Vorwurf polnischer Kläger, Russland kläre das Massaker nicht auf und behandele die Hinterbliebenen unmenschlich, führten nicht zur Verurteilung durch die große Kammer des EGMR.
Nachdem die Rote Armee im September 1939 Teile Polens besetzt hatte, wurden viele polnische Offiziere und Intellektuelle als Kriegsgefangene nach Russland verschleppt. Im April 1940 wurden mehr als 20.000 dieser Gefangenen auf Befehl der sowjetischen Führung ermordet und in Massengräbern verscharrt, unter anderem bei dem russischen Dorf Katyn. Die Sowjetführung versuchte jahrzehntelang, das Verbrechen der deutschen Wehrmacht anzulasten. Erst ab 1990 übernahm die russische Führung unter Michail Gorbatschow und Boris Jelzin Verantwortung für die Tat. Strafrechtliche Untersuchungen kamen unter Wladimir Putin dann wieder ins Stocken und wurden 2004 formell eingestellt. Dagegen klagten Angehörige der polnischen Ermordeten.
Der Gerichtshof für Menschenrechte verurteilte Russland nun, weil sich Moskau geweigert hatte, die Einstellungsentscheidung dem Gerichtshof zu übergeben. Russland hatte argumentiert, die Entscheidung sei geheim, weil Interessen des russischen Geheimdienstes zu schützen seien. Auch die Angehörigen hatten die Entscheidung nicht erhalten. Straßburg hielt die Begründung für nicht ausreichend. Russland habe die Interessen des Geheimdienstes nicht gegen die der Opfer abgewogen.
In der ersten Straßburger Instanz war Russland im April 2012 auch wegen unmenschlicher Behandlung der Angehörigen verurteilt worden. Die Richter hatten sich empört gezeigt, dass russische Behörden wieder infrage stellen, dass es sich beim Massaker von Katyn um ein Kriegsverbrechen handelte. Dies sah die große EGMR-Kammer anders. Weil die Angehörigen seit 1990 sicher wissen, dass die Polen von den Sowjets ermordet wurden, seien sie nicht mehr in einem Zustand „anhaltender Ungewissheit“ über deren Schicksal.
Wie schon die erste Instanz sah auch die Große EGMR-Kammer keine Möglichkeit, von Russland eine gründliche Untersuchung des Massakers zu fordern. Das Massaker habe stattgefunden, bevor die Europäische Menschenrechtskonvention 1950 in Kraft trat. Und die anfänglichen russischen Untersuchungen gab es, bevor Russland 1998 die Konvention unterzeichnete. Hiergegen hatten die polnischen Angehörigen Rechtsmittel eingelegt, aber aus ihrer Sicht jetzt eine Verschlechterung des Urteils erreicht. CHRISTIAN RATH