: Bundesrats-Veto unsicher
ATOM Die WählerInnen in NRW könnten auch Laufzeitverlängerungen verhindern, versprechen SPD und Grüne. Doch die Rechtslage ist komplex
FREIBURG/BERLIN taz | SPD und Grüne wollen bei der Wahl in Nordrhein-Westfalen auch den Atomausstieg verteidigen. Wenn die schwarz-gelbe Mehrheit im Bundesrat kippt, so argumentieren sie, kann die Bundesregierung die geplante Laufzeitverlängerung vergessen. Anti-Atom-Aktivisten warnen jedoch vor zu viel Euphorie. „Eine veränderte Bundesratsmehrheit wäre zwar ein starkes Signal“, argumentiert BUND-Energieexperte Thorben Becker, „aber es lassen sich vermutlich Wege finden, sie zu umgehen.“
Sicher ist nur: Wenn CDU und FDP ihre Mehrheit in NRW verlieren, dann kippt auch der Bundesrat. Derzeit bringen schwarz-gelb regierte Länder 37 von 69 Stimmen zusammen; ohne NRW wären es nur noch 31. Doch braucht der „Ausstieg aus dem Ausstieg“ wirklich den Segen des Bundesrats? Während Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) das so sieht, gibt es in seiner Partei auch andere Stimmen, etwa den hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch. Die Atomfreunde betonen, dass auch das rot-grüne Ausstiegsgesetz 2002 keiner Zustimmung des Bundesrats bedurfte. „Ich sehe nicht ein, warum das jetzt anders sein soll“, sagte die Stuttgarter Umweltministerin Tanja Gönner jüngst gegenüber Zeit Online.
Dieser Interpretation widerspricht Ursula Heinen, CDU-Staatsseketärin im Bundesumweltministerium. Denn damals seien die Länder ja von Aufsichtspflichten entlastet worden. „Bei einer Verlängerung würden die Länder vermutlich belastet, daher ist dann von einer Zustimmungspflicht auszugehen“, so Heinen. Thorben Becker vom BUND befürchtet allerdings, dass die Bundesregierung dieses Problem umgehen kann, indem sie den Ländern einfach die Mehrkosten für die zusätzliche Atomaufsicht erstattet.
Tatsächlich ist die Rechtslage verzwickt. Gesetze des Bundestags bedürfen nur dann der Zustimmung der Länderkammer, wenn dies im Grundgesetz ausdrücklich vorgesehen ist. Es genügt nicht, dass die Länder irgendwie belastet werden. Zustimmungspflichtig würde eine Änderung zum Beispiel, wenn der Bundestag den Ländern Regelungen zum Verwaltungsverfahren vorschreibt (Artikel 85). Darauf spielte wohl Umweltminister Röttgen an, als er im Spiegel jüngst auf zwingend notwendige neue Sicherheitsanforderungen hinwies. Er kann also durch eine entsprechende Gestaltung des Gesetzes die Zustimmungsbedürftigkeit selbst herbeiführen. Dafür dürfte er allerdings im Kabinett und im Bundestag keine Mehrheit finden, weil die Atombefürworter ja nicht absichtlich ein Eigentor schießen.
Ins Spiel kommt deshalb auch Artikel 87c des Grundgesetzes. Danach ist es zustimmungspflichtig, wenn der Bund die Länder bei der Atomverwaltung seinem Weisungsrecht unterstellt. Diese Auftragsverwaltung ist im Atomgesetz zwar längst angeordnet, jedoch könnte diese Anordnung durch die Laufzeitverlängerung eine neue Tragweite erhalten und die Reform dadurch doch zustimmungspflichtig werden. Cornelia Ziehm von der Deutschen Umwelthilfe verweist auf entsprechende Urteile des Bundesverfassungsgerichts.
Sollte der schwarz-gelbe Atom-Mainstream tatsächlich versuchen, das Gesetz ohne Zustimmung der Länderkammer in Kraft zu setzen, muss am Ende wohl das Bundesverfassungsgericht entscheiden, ob die Länderkammer hier ein Vetorecht hat oder nicht. CHRISTIAN RATH
MALTE KREUTZFELDT