: Tests erhöhen Druck auf Eltern
PRÄNATALDIAGNOSTIK Im Haus der Bürgerschaft haben Experten die gesellschaftlichen Folgen neuer Testverfahren zur Diagnose des Down-Syndroms diskutiert
■ Bisher können Schwangere mittels einer Kombination von Blut- und Ultraschalluntersuchung ihr Risiko ausrechnen lassen, ein Kind mit den Chromosomenveränderungen Trisomie 13, 18 und 21 auszutragen. Zur Diagnose ist eine Punktion der Gebärmutter notwendig.
■ Dies gilt auch für den neuen Bluttest. Er soll aber genauere Ergebnisse liefern, so dass seltener eine invasive Untersuchung den Verdacht bestätigen müsste. EIB
VON JAN-PAUL KOOPMANN
Welche gesellschaftlichen Konsequenzen hat der neue Schnelltest zur Früherkennung des Down-Syndroms in der Schwangerschaft? Diese Frage diskutierten ÄrztInnen und BeraterInnen am Montagabend im Haus der Bremischen Bürgerschaft. Eingeladen zur Anhörung hatten die Fraktionen von SPD und Grünen, die sich damit auf mögliche Initiativen auf Bundesebene vorbereiten wollten.
Nach Meinung der Fachleute führt der neue Test dazu, dass Eltern sich gar nicht mehr beraten lassen. Zudem erhöhe sich der Druck, die Schwangerschaft abzubrechen. Anders als bisherige Screening-Methoden kann der neue Bluttest bereits in der neunten Schwangerschaftswoche gemacht werden. Er soll Chromosomenveränderungen aufgrund von Trisomien mit 99-prozentiger Sicherheit voraussagen können.
Zur endgültigen Diagnose sei nach wie vor eine Bestätigung durch eine Fruchtwasseruntersuchung notwendig, erläuterte Humangenetikerin Stephanie Spranger. Aber im Unterschied zum bisher geläufigen Ersttrimester-Test (siehe Kasten) gebe es für die Eltern kaum noch Spielräume, sich mit dem Ergebnis auseinandersetzen zu können, so Gabriele Frech von der Beratungsstelle Cara.
Ihre Befürchtung: Dass Schwangere sich den Test selbst besorgen und Beratung gar nicht mehr stattfindet. Im vergangenen Jahr gab es nur den Praena-Test, der zur Markteinführung rund 1.200 Euro kostete. Ein Prozent der Schwangeren habe ihn laut Spranger durchführen lassen. Mittlerweile werden zwei weitere angeboten – der günstigste bereits für 485 Euro. Er testet auch auf Auffälligkeiten an den Sexualchromosomen. Die Anbieter auf dem deutschen Markt bewerben ihre Tests in Zeitschriften und im Internet. Einer von ihnen heißt „Harmony“.
„Immer mehr Schwangere informieren sich heute online und fragen dann in der Praxis nach den Produkten“, berichtete Armin Neumann, Facharzt für Pränataldiagnostik. Er selbst empfehle die Tests nicht: „Die Leute wollen den ja, um zu hören, dass sie ein gesundes Kind bekommen. Aber das kann so ein Test gar nicht leisten, das ist Schwachsinn.“ Ihm zufolge ist es nur eine Frage der Zeit, bis die Tests von den Kassen finanziert werden.
Aufhalten lasse sich diese Entwicklung nicht. Darin waren sich ExpertInnen und PolitikerInnen einig. „Wir sind nicht naiv. Der Test wird langfristig über das Internet zu bekommen sein, und wir können nichts dagegen tun“, sagte Sybille Böschen (SPD), die die Runde moderierte.
Die Erfahrungen mit den bisherigen Tests hätten gezeigt, dass man allein mit Beratung nicht weiterkomme. Die wenigsten Menschen würden sich zutrauen, ein behindertes Kind zu bekommen, betonte Frech. Sie berichtete von Eltern, deren Entscheidung, ein Kind mit Behinderung zur Welt zu bringen, auf öffentliche Ablehnung stoße: „Die Schwangerschaft in solchen Fällen abzubrechen, gilt heute als moralisch richtig.“ In Großbritannien werden neun von zehn Kindern mit Down-Syndrom abgetrieben.
Daniel Combé, Medizinrechtler
Böschen forderte öffentliche Diskussionen: „Die Auseinandersetzung muss schon in den Schulen geführt werden“, damit junge Menschen im Fall einer positiven Diagnose nicht zum ersten Mal mit dem Thema konfrontiert würden. Auch die unklare rechtliche Lage müsse dringend nachgebessert werden: „Der Praena-Test fordert regelrecht zum Verstoß gegen das Gendiagnostikgesetz auf“, sagte Daniel Combé, Fachanwalt für Medizinrecht. Das Gesetz verbietet die Benachteiligung eines Menschen aufgrund des Ergebnisses einer genetischen Untersuchung. Ein Schwangerschaftsabbruch sei definitiv eine solche Benachteiligung.
Der Landesbehindertenbeautragte Joachim Steinbrück forderte eine „Willkommenskultur“, zu der selbstverständlich gehöre, behinderte Menschen stärker zu unterstützen. Selbst Sachbearbeiter, die beispielsweise über Förderung einer Assistenz in der Kita entscheiden, würden auf Grundlage gesellschaftlicher Normen handeln. Oft stünden die im Widerspruch zum Gesetz.
Es sei selbstverständlich, dass Eltern sich gesunde Kinder wünschen, sagte Steinbrück, selbst Träger einer genetisch bedingten Augenkrankheit. Er fürchte aber, „dass wir aus dieser Gesellschaft weggezüchtet werden“.