Das Gespenst der Verstaatlichung

Morales bekennt sich zum Schutz des Privateigentums: Die Verstaatlichung von Boliviens Rohstoffwirtschaft wird zahm ausfallen, glauben Entwicklungsökonomen

BERLIN taz ■ Schon zum dritten Mal in den vergangenen 70 Jahren wird Bolivien die Privatisierung seiner Rohstoffindustrie wieder rückgängig machen, weil der versprochene Wohlstand bei der Bevölkerung nie ankam. Die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich hat in ganz Lateinamerika den Ruf nach sozialer Gerechtigkeit immer lauter werden lassen. Nun verspricht Boliviens Präsident Evo Morales seiner Bevölkerung, die „Plünderung“ der nationalen Rohstoffe durch ausländische Konzerne zu beenden: „Die vergangenen 15 Jahre haben gezeigt, dass der Privatsektor unsere Probleme nicht lösen kann.“

Allerdings lässt sich im rhetorischen Feuerwerk des ehemaligen Gewerkschaftsführers noch nicht erkennen, wie ernst er es mit seinen Verstaatlichungsparolen nimmt. „Es ist legitim, dass Morales für Bolivien ein größeres Stück vom Kuchen der Rohstoffeinnahmen haben will“, sagt Professor Manfred Nitsch vom Lateinamerikainstitut der FU Berlin. Denn der Löwenanteil der Gas- und Öleinnahmen ist bisher in die Taschen der internationalen Förderkonzerne gelandet. Der Entwicklungsökonom warnt vor einer Fehldeutung des Begriffs „Verstaatlichung“. „Bodenschätze gehören immer dem Staat. Konzerne können lediglich Konzessionen vom Staat oder der staatlichen Ölgesellschaft erwerben.“ Die Konzessionsbedingungen sollen nun neu verhandelt werden. „Es gibt bei der Förderung von Bodenschätzen keinen großen Unterschied zwischen Verstaatlichung und privaten Konzessionen“, sagt Nitsch

Wie weitgehend Morales bei den Neuverhandlungen gehen will, ist jedoch noch die große Frage. Stephan Klasen, Direktor des Iberoamerika-Institutes an der Universität Göttingen, warnt davor, die Öl- und Gasförderung ohne die Privatwirtschaft durchzuführen: „Die Erfahrungen in Bolivien und Argentinien zeigen, dass staatliche Unternehmen sehr ineffizient arbeiten.“ Deutlich mehr Einnahmen könne der bolivianische Staat durch eine intelligente Besteuerung der Öl- und Gasgewinne erreichen, glaubt Entwicklungsökonom Klasen. Dazu müsse er sich nicht in die Öl- und Gasförderung einmischen.

Es spricht einiges dafür, dass der von Morales mit Theaterdonner inszenierte Vorstoß darauf hinausläuft. „So schrecklich alternativ ist sein Modell nicht“, meint Nitsch. „Er hat sich genauso wie der brasilianische Präsident Silvio Lula zum Schutz des Privateigentums bekannt.“ Eine vollständige Verstaatlichung werde es wohl nicht geben.

Das Modell funktioniert auch in Chile sehr gut. Das staatseigene Unternehmen Codelco fährt dort als weltgrößter Kupferhersteller riesige Gewinne ein. Auch Venezuela verdient als fünftgrößter Ölexporteur der Welt mit seiner staatlich kontrollierten Ölindustrie viel Geld. So viel, dass der als Populist gescholtene Präsident Hugo Chávez damit erfolgreich eine Gesundheitsversorgung für Slumbewohner aufgebaut hat. Eine gemäßigtere Politik des sozialen Ausgleichs wird in geringerem Umfang auch in Brasilien praktiziert. Stephan Klasen sieht darin eine vielversprechende Alternative: „Dort wird mit spürbarem Erfolg mehr Geld als früher in das Gesundheits- und Bildungswesen investiert.“ TARIK AHMIA