: Der Spruch „Geh doch nach drüben“ lebt auf
SÜDKOREA Besorgniserregender Rückfall in finstere Zeiten: Ein Literat muss für eine kritische Zeitungsanzeige Strafe zahlen, ein Geheimdienstkritiker wird unter Hochverratsvorwurf verhaftet
AUS SEOUL PEPE EGGER
Der Schriftsteller Son Hongguy ist überzeugt: Das Gerichtsverfahren, das im August mit seiner Verurteilung zu einer Geldstrafe endete, war reine Schikane. Es sei ein Warnschuss gewesen und weckte Erinnerungen an Zeiten eingeschränkter Meinungsfreiheit. Son hatte als Generalsekretär der südkoreanischen Autorenvereinigung kurz vor der Präsidentschaftswahl im Dezember 2012 eine ganzseitige Zeitungsanzeige geschaltet. Darin warnten 138 Autoren vor einer Rückkehr in die Vergangenheit.
Das Inserat war nicht direkt parteipolitisch, sondern eher ein poetischer Aufruf, mehr Demokratie zu wagen. Vier Tage später wurde Park Geun Hye, die Tochter des Militärdiktators Park Chung Hee der 1960er und 70er Jahre, zur Präsidentin gewählt.
Sons Verurteilung ist einer von mehreren Testfällen: Vollzieht sich unter der demokratisch gewählten Diktatorentochter Park Geun Hye ein Rückfall in vordemokratische Zeiten? Oder handelt es sich bloß um vereinzelte Überbleibsel autoritärer Strukturen inmitten einer ansonsten gefestigten Demokratie?
Bilder des Präsidentinnenvaters Park Chung Hee, der während seiner Entwicklungsdiktatur das Land mit US-Hilfe vom Agrarstaat zur Industrienation führte, tauchen wieder vermehrt im Staatsfernsehen auf: Die Propaganda von damals kehrt als Dokumentarfilm zurück.
Die Präsidentin selbst fährt einen zweideutigen Kurs: Sie entschuldigt sich im Wahlkampf bei den Opfern der Diktatur ihres Vaters, ruft aber letzte Woche zur Erneuerung der Saemaul-Bewegung auf, jener „Neues Dorf“-Selbsthilfe-Kampagne, mit der ihr Vater in den 1970ern die ländliche Entwicklung vorantrieb.
Auch der Antikommunismus hat heute wieder Konjunktur. Laut der Schriftstellerin Oh Soo Yeon hörten Oppositionelle wieder öfter das alte Lied „Wenn es euch hier nicht gefällt, geht doch nach drüben!“, also in den kommunistischen Norden.
Doch seit Amtsantritt von Präsidentin Park im Februar ist auch klar, dass die Opposition sich nicht mundtot machen lässt. Seit Juni prangern wöchentliche Proteste die Rolle des Geheimdiensts NIS in den Wahlen an. Es geht um Vorwürfe, der NIS habe im Wahlkampf mit einer Cybereinheit Gerüchte gegen den Oppositionskandidaten gestreut und Park zum Sieg verholfen. Es spricht für Südkoreas demokratische Institutionen, dass ein Staatsanwalt die Vorwürfe untersuchte und der Geheimdienstchef gehen musste. Dagegen spricht, dass inzwischen eben jener Staatsanwalt abgesetzt wurde, nachdem ihm ein uneheliches Kind angedichtet wurde.
Noch alarmierender ist die andauernde Affäre um Lee Seok-ki. Der Abgeordnete der liberalen Vereinigten Fortschrittspartei wollte den NIS-Skandal nutzen, um den Dienst zu reformieren. Doch Lee wurde im September unter haarsträubenden Hochverratsvorwürfen eben jenes NIS verhaftet. Dieser will herausgefunden haben, dass Lee Teil einer Verschwörung gewesen sei, um eine von Nordkorea gesteuerte Guerillatruppe vorzubereiten.
Eine erste Anhörung brachte letzte Woche nichts Neues. Vor dem Gericht demonstrierten Konservative schon für die Auflösung von Lees Partei. Inzwischen hat sich die Staatsanwaltschaft, welche die Vorwürfe gegen den NIS untersucht, selbst zum Gegenstand der Ermittlungen gemacht. Zuvor wurde ein weiterer Staatsanwalt gefeuert, der Razzien bei Geheimdienstlern angeordnet und sich nach eigenen Angaben geweigert hatte, auf Druck von oben die Ermittlungen „zu entschärfen“. Am Dienstag erreichte der Skandal die Armee. Ermittler befragten Kommandeure der „Cyber Warfare Unit“ zu Vorwürfen, auch diese habe online Stimmung gegen die Opposition gemacht.