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Archiv-Artikel

Fußball paradox

Seit Michael Skibbe mit nur einer Spitze spielen lässt, eilt Leverkusen von Sieg zu Sieg. Auch beim 5:1 in Berlin bewährt sich diese Taktik

„Wenn sich ein Spielso entwickelt, geht auchviel Taktik verloren“

AUS BERLIN ANDREAS RÜTTENAUER

Er war ernst, wirkte hochkonzentriert. Nur einmal huschte ganz kurz ein Lächeln über sein Gesicht. Michael Skibbe, Trainer des SV Bayer 04 Leverkusen, stand – die Trainingsjacke lässig über die Schulter geworfen – in den Katakomben des Berliner Olympiastadions und parlierte gelöst über den 5:1-Erfolg seiner Mannschaft gegen Hertha BSC. Als Bundestrainer unter Rudi Völler wirkte er manchmal abweisend. Zu Beginn seiner Tätigkeit in Leverkusen versuchte er seine offensichtliche Verunsicherung nicht selten mit einem gekünstelten Lächeln zu überspielen. Nach nunmehr sechs Siegen in Serie scheint Michael Skibbe endlich die Selbstsicherheit gewonnen zu haben, die ihm so lange gefehlt hat.

Was lässt ihn plötzlich zum Souverän werden? Der Erfolg der Leverkusener beruht auf seiner Arbeit. Er hat der Mannschaft ein neues Gesicht gegeben. Er ist abgerückt vom ewigen Bayer-System mit zwei Sturmspitzen. Andrej Woronin, der zwar schnell, aber oft planlos in des Gegners Hälften umhergeeilt ist, landete auf der Bank. Dimitar Berbatow wurde alleinige Sturmspitze. Unterstützung bekommt er von den Außenbahnen durch Paul Freier und Tranquillo Barnetta. Berbatow scheint sich dabei pudelwohl zu fühlen. Auch am Dienstagabend in Berlin war der Bulgare wieder der auffälligste Offensivspieler der Leverkusener – nicht nur weil er die Treffer zum 0:2 (27.) und 0:3 (28.) erzielte (Juan hatte Leverkusen nach fünf Minuten in Führung gebracht). Der robuste Berbatow kann die Bälle sicher auf seine Mitspieler ablegen und bei Bedarf kann er sie auch halten. Sein Gegenspieler am Dienstag war des öfteren Nationalspieler Arne Friedrich. Der gewann insgesamt 75 Prozent seiner Zweikämpfe – in den entscheidenden Duellen gegen Berbatow stolperte er nur hinterher.

Skibbe weiß, was er an seinem Stürmer hat: „Berba ist in herausragender Form“, lobte er den Mann, der vielleicht schon bald nicht mehr in der Bundesliga spielen wird. Noch habe, so Skibbe, kein Verein die festgeschriebenen 16 Millionen Euro Ablöse geboten. Der Trainer hofft zudem, dass „Berba“ bleiben wird. „Er ist bei aller Qualität, die er schon hat, erst 25 Jahre alt. Er braucht einen Verein, bei dem er auch wirklich spielen kann. Bei uns kann er das.“

Doch nicht nur von Berbatow war Michael Skibbe begeistert an diesem denkwürdigen Abend in Berlin, der die Leverkusener wohl endgültig auf Kurs gebracht hat in Richtung Uefa-Cup-Qualifikation. „Wir haben gesehen, dass wir eine prima Offensive spielen können.“ Jetzt lächelte er kurz. Dann wurde er wieder ernst. Über das Defensivverhalten seiner Mannschaft wetterte er regelrecht. Dazu hatte er allen Grund. Nachdem seine Mannschaft in der 28. Minute mit 3:0 in Führung gegangen war, starteten die Berliner einen wahren Sturmlauf. Immer wieder schafften sie es, das Leverkusener Mittelfeld mit schnellem Lauf- und Passspiel regelrecht zu überrennen. Dieter Hoeneß, Herthas Manager, verstand die Welt nicht mehr: „Das war unsere beste Saisonleistung.“ Auch Trainer Falko Götz haderte: „Das war Fußball paradox.“ 23-mal schossen die Berliner auf des Gegners Tor. Doch mehr als Marcelinhos 1:3 (42.) wollte bei all den ansehnlichen Berliner Bemühungen nicht herausspringen. Die Hertha-Fans im mit 51.000 Zuschauern gut gefüllten Olympiastadion trauten ihren Augen nicht. Sie hatten Spaß am Auftritt ihrer Mannschaft. Sie mussten mit ansehen, wie Leverkusen in der zweiten Hälfte durch Ramelow (63.) und Schneider (76.) auf 5:1 erhöhte und blieben dennoch bis zum Ende, um ihr Team mit Applaus zu verabschieden.

„Ich möchte jetzt nicht sagen, dass unser Sieg unverdient war“, meinte Michael Skibbe, „aber das 1:5 gibt den Spielverlauf in keiner Weise wieder.“ Sicher sei das Spiel für die Zuschauer schön gewesen, als Trainer aber habe er auch leiden müssen. „Wenn sich ein Spiel so entwickelt, geht auch viel Taktik verloren“, dozierte er und sprach von der Arbeit, die es noch zu leisten gilt in den letzten beiden Partien der Saison. Es ist eine angenehme Arbeit. Während die Clubführung kaum mit der Aufarbeitung der Altlasten, die Langzeitmanager Rainer Calmund hinterlassen hat, nachkommt, darf sich Skibbe auf das Sportliche konzentrieren. „Denken Sie manchmal an die verkorkste Hinrunde?“, wurde er gefragt. „Quatsch“, wehrte Skibbe ab, „wir freuen uns darüber, wie wir derzeit spielen können.“ Leverkusen ist die erfolgreichste Mannschaft der Rückrunde, Michael Skibbe ihr zufriedener Erfolgstrainer.