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Archiv-Artikel

Markt und Morales

Bolivien verstaatlicht seinen Energiesektor. Toll! Fragt sich, warum russische Staatskonzerne schlimm sind

Ein indigener Bolivianer ist gerade Held der Linken: Präsident Evo Morales hat doch tatsächlich den Kapitalisten die Stirn geboten und den Öl- und Erdgassektor verstaatlicht. Toll, dieser Mann! Er gibt dem Volke, was des Volkes ist, und selbst die Macht des IWF verblasst.

Zwar hat auch Russlands Präsident Putin den Kapitalisten die Stirn geboten und den Erdöl- und Erdgassektor verstaatlicht – aber das ist natürlich ganz mies. Vor allem für den deutschen Verbraucher. Den Preis für unser Gas diktiert bekanntlich Gazprom. Wozu das führt, war am Jahresanfang in der Ukraine beobachtbar: frierende Menschen im Lichtschein einer Kerze.

Nicht nur das: Der Russe droht uns nun auch noch. Konzernchef Alexej Miller möchte sich gern an ein paar westeuropäischen Konzernen beteiligen. Sollte er demnächst nicht als – sagen wir: Partner? Konkurrent? des deutschen Großkonzerns Ruhrgas agieren wollen, liefert Gazprom eben weniger.

Als „Erpressung mit Erdgas“ beurteilte das zunächst auch die taz – und ging damit einer Verschwörungstheorie ebenjener großkapitalistischen PR-Maschine auf den Leim, die in Bolivien gerade geschlagen das Schlachtfeld räumen muss. Die PR-Maschinen von RWE, Eon und Co: Gazprom „droht“, „erpresst“ mitnichten uns – sondern sie, die Großkonzerne.

In Wahrheit brauchen die Verbraucher nämlich überhaupt keine Angst vor Gazprom zu haben. Ganz im Gegenteil: Wir wollen doch mehr Wettbewerb, wollen mehr Versorgungssicherheit. Und natürlich sinkende Preise! Die deutschen Gasversorger haben genauso wie die deutschen Stromversorger, haben genauso wie die bolivianischen Erdölförderer bislang nur einen Beweis abgeliefert: Mit Vattenfall, Ruhrgas oder Eon wird es immer nur teurer. Warum also sollte Gazprom nicht mal eine Chance bekommen?

Zum Beispiel als Deutsche Gasprom AG: Ihr Einkaufspreis ist deutlich günstiger als der der Konkurrenten – dank großzügiger Rabatte durch die Mutter Gazprom. Die Lieferverträge sind wesentlich zukunftsfester – natürlich wird die Mutter zuerst den Konkurrenten bei Knappheit den Hahn zu drehen. Der russische Staatskonzern bekommt Milliarden Euro in seine Kassen gespült, mit denen das russische Bildungssystem auf Vordermann gebracht werden kann. Und der deutsche Verbraucher kann sich rühmen, sparend Mütterchen Russland zu helfen.

Die Leidtragenden sind natürlich die armen westeuropäischen Aktionäre, unter denen derzeit jene Gasmilliarden verteilt werden, die Ruhrgas und Co erwirtschaften. Obwohl, was heißt erwirtschaften: Gas fördern, reinigen, transportieren natürlich nur die Russen. Die Deutschen verkaufen. Und damit ihnen dabei kein Präsident Morales in die Quere kommt, feuert die PR-Maschinerie: „Gazprom erpresst uns“! NICK REIMER